Patienten dürfen darauf hoffen, nach erfolgreicher Chip-Implantation und mehrmonatiger Reha- und Lern-Phase große Buchstaben und Objekte zu erkennen.

Foto: Second Sight

Argus II gibt vielen blinden Menschen die Hoffnung, zumindest einen Teil der Sehkraft wiederzuerlangen. Am Uniklinikum Aachen wird der winzige Chip seit Kurzem in das menschliche Auge implantiert, um einen Teil der Netzhaut zu ersetzen. Zum Einsatz kommt Argus II bei der Retinitis pigmentosa (RP) zum Einsatz. Diese erblich bedingte Netzhautdegeneration betrifft allein in Deutschland etwa 30.000 bis 40.000 Menschen, weltweit sind es drei Millionen. Die Krankheit zerstört die Photorezeptoren in der Netzhaut - die Patienten erblinden schließlich vollständig.
Argus II funktioniert, indem es Videobilder, die durch eine Miniaturkamera in der Brille des Patienten erfasst werden, in elektrische Impulse konvertiert. Diese werden drahtlos in das Auge übermittelt, wo sie an den Elektroden auf der Oberfläche der Netzhaut verbliebene Nervenzellen der Netzhaut stimulieren. Das Resultat: Patienten erkennen auch nach jahrelanger absoluter Dunkelheit wieder Lichtmuster und lernen mit Hilfe von Experten, diese zu interpretieren. Die Unikliniken Aachen und Köln sind die ersten Kliniken in Deutschland, die die künstliche Netzhaut (Retina Implant) für Pigmentosa-Patienten auf Kosten der Krankenkassen implantieren können.

Bei Günter P. führte die Retinitis pigmentosa zu einer fortschreitenden Erblindung. Erst benötigte er eine Brille, dann entwickelte er Nachtblindheit, dann einen „Tunnel-Blick" - bis er vor fünf Jahren vollständig das Sehvermögen verlor. Seit Dezember 2011 lebt er mit einer Netzhautprothese und schildert, was seitdem passiert ist: „Mein Gehirn reagiert wieder auf Licht." Zurzeit arbeitet er mit einem Rehabilitationsexperten: „Ich will meine Ziele für mein wiedererlangtes Sehvermögens erreichen." Dazu gehört für ihn beispielsweise, Orientierung und Mobilität im Freien zu verbessern. „Meine große Hoffnung ist, in naher Zukunft unabhängiger zu leben - und das ich alles, was ich sehen möchte, sehen kann."

Große Buchstaben erkennen

Einen vollwertigen Ersatz der Netzhaut ist Argus nicht. Peter Walter, Leiter der Aachener Augenklinik und selber Forscher mit dem Schwerpunkt Retina-Prothesen, erläutert die Funktionsweise der Technik im menschlichen Auge. „Das Sehfeld, in dem mit dem Chip Licht wahrgenommen wird, umfasst im Zentrum etwa zehn Grad. Deshalb ist es sicherlich weiter nötig, einen Blindenstock zu nutzen." Der Punkt sei aber: „Menschen, deren Lichtwahrnehmung erloschen war, können sich Hoffnung machen, nach erfolgreicher Operation und mehrmonatiger Reha- und Lern-Phase große Buchstaben und Objekte erkennen zu können."

Für Patienten, die unter Umständen noch einen Rest Sehkraft besitzen, stellt sich die Frage, ob es sich lohnt, auf die nächste Generation künstlicher Netzhäute zu warten, die möglicherweise ein schärferes Bild und ein größeres Sehfeld ermöglichen. Aktuelle Forschungen zielen allerdings weniger darauf ab, die Anzahl der Elektroden auf der Netzhaut zu steigern. Vielmehr werde der Fortschritt künftig in der Modulation der elektrischen Reize der Kamera liegen, sagt Peter Walter. „Das Ziel ist, dass die künstlichen Impulse die natürlichen Impulse, die die Netzhaut von den eigentlichen Photorezeptoren im Auge gewöhnt ist, noch besser nachahmen."

Positiv für den Patienten: Der Entwicklungs-Fortschritt bei der Impulsmodulation steht im Rahmen eines Software-Updates allen Argus-Versionen zur Verfügung. Es wird also nicht nötig sein, die Implantate auszutauschen, um am Entwicklungsfortschritt teilzuhaben. (red, 1.6.2012)