Zeitung aus der Kulturrevolution, Mai 1967: "Feiert 25 Jahre Maos Reden zu Literatur und Kunst von Yan'an.".

Foto: Johnny Erling

 Dies provozierte im Internet Diskussion samt Gegenaktion.

Das kostbare Buch im edel gestalteten Schuber ist mit handgeschöpftem Pergamentpapier eingeschlagen. Mit drei großen Schriftzeichen pinselte Mao Tsetung seinen Namen. Auf der anderen Umschlaghälfte des Schutzkartons stehen handschriftliche Krakel. Die 100 Unterschriften, mit denen sich die bekanntesten zeitgenössischen Schriftsteller und Dichter Chinas verewigten, sind kaum zu lesen. "Reden bei der Aussprache in Yan'an über Literatur und Kunst des Genossen Mao Tse-tung" steht in rotfarbener Prägung neben Maos Namen. Eine goldene Prägeschrift tut kund: "Sammler- und Gedenkausgabe mit den Handschriften von 100 Literaten und Künstlern."

Der Pekinger Verlag der Autoren, der dem Staatlichen Schriftstellerverband untersteht, hat sich das Design für die Prachtausgabe mit dem Nachdruck der berüchtigten Rede Maos (Mai 1942) ausgedacht. Der Guerillaführer hatte Intellektuellen und Künstlern eine Standpauke gehalten. Seine Rede wurde zum Katechismus der modernen Kunst und Kultur Chinas und zu ihrem Fluch.

70 Jahre später preisen heute Pekings KP-Führer diese Ansprache auf Festveranstaltungen in der Großen Halle des Volkes. Sie sei zeitgemäß. Pekings Partei zieht mit Mao ihre Zügel über Kunst und Kultur an. Ihre Lobeshymnen erwähnten mit keinem Wort die unheilvolle Wirkung der Rede, die zum ideologischen Korsett wurde. Mao zog es nicht nur über die Kunst zu, er schnürte auch den Künstlern die Luft ab. Die Partei jedoch nennt die Rede, wie die Volkszeitung schrieb, einen "Leuchtturm". Die Geschichte habe bewiesen, dass die von ihr "gewiesene Richtung und der Weg bis heute die korrekte Richtung für unsere Kunst ist".

Maos Worte kopieren

Das gilt allerdings nicht für hunderttausende Künstler, die Opfer der mörderischen Verfolgungen von Maos Kulturpolitik wurden. Immer nutzte er dafür seine Yan'an-Rede als Knüppel. Im Gedenkband erinnert der Verlag der Autoren mit dutzenden Faksimiles an die historischen Ausgaben der millionenfach verbreiteten Rede. Als besonderen Clou bat er hundert der bekanntesten Autoren Chinas mitzuwirken: Sie sollten sie vollständig kopieren. Jeder bekam einen Abschnitt zum Abschreiben zugeteilt, als handschriftliche Verbeugung vor dem Ungeist jener Zeit.

Und alle machten mit, von der Vorsitzenden des Schriftstellerverbandes Tie Ning bis zum Doyen Wang Meng. Er wurde in den 1950ern als " Rechtselement" verbannt und von Kollegen als "Feind des Volkes" kritisiert. Das hielt ihn nicht davon ab, eine Passage abzuschreiben, wo Mao von Kunst und Kultur verlangt, auch als Waffe zu dienen. Der berühmte Erzähler Mo Yan, der 2009 prominenter Teilnehmer auf dem Chinaforum der Frankfurter Buchmesse war, kopiert Maos Ansicht über den korrekten Standpunkt eines Künstlers und die Kritik, dass viele Künstler noch nicht "auf dem Standpunkt des Proletariats und der Volksmassen stehen". Feng Jicai, der einst für seine kritischen 100 Porträts der Kulturrevolution bekannt wurde, schreibt ebenfalls mit.

Alle bekamen seit dem Frühjahr Briefe mit der Bitte, einen Abschnitt aus der Rede abzuschreiben. 1000 Yuan (120 Euro) in bar lagen für den Aufwand bei.

Die Nachrichtenagentur Xinhua meldete am 21. April die Namen der 100 Schriftsteller, die Maos Rede abschrieben. Aufgeregt fragten Blogger, welch Geistes Kind diese Schriftsteller sind. Einer geißelt ihre devote Selbstverleugnung. Auf die Vorwürfe reagiert als erster Ye Zhaoyan. Er hätte den Brief mit den 1000 Yuan nicht annehmen dürfen, gesteht er auf seinem Mikroblog. Das Geld wieder zur Post zu bringen und zurückzuschicken sei ihm zu umständlich gewesen. Also habe er die paar Zeilen abgeschrieben. Jetzt wisse er, dass er "sein Gesicht verloren hat" .

Im Internet trägt der Eklat den Spottnamen "Bairen Chaoxie" (Hundert schreiben ab). Wegen der 1000 Yuan Honorar ist vom Judaslohn die Rede. " Man nennt euch Ingenieure der Seele. Ihr habt eure für 1000 Yuan verkauft." Inzwischen hat sich spontan eine Gegenbewegung im Internet gebildet. Auch sie wirbt für handschriftliches Abschreiben. Aber von ganz anderen Texten wie das Allgemeine Erklärung der Menschenrechte.

Blogger setzen ihre Abschriften in allerschönster Kalligrafie ins Netz. " Ihr kopiert Mao. Wir schreiben die Menschenrechte ab." Bürgerrechtler wie Xu Zhiyong oder Bei Feng stellen sich dahinter. Sie hoffen auf 10. 000 Kopisten. Der Pekinger Dichter Xu Jingya etwa schreibt schwungvoll Artikel 11 der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789 ab: " Die freie Äußerung von Gedanken und Meinungen ist eines der kostbarsten Menschenrechte." Die Internetzensoren waren am Dienstag wie wild am Löschen.   (Johnny Erling aus Peking, DER STANDARD, 1.6.2012)