Bild nicht mehr verfügbar.

Widmer-Schlumpf (rechts) und Österreichs Maria Fekter (links) handelten als Finanzministerinnen das Steuerabkommen aus.

Foto: Reuters/Sprich Ruben

Steueroase war gestern: Die Schweiz ist mit dem neuen Steuerabkommen auf dem Weg zum sauberen Finanzplatz, sagt Finanzministerin und Bundespräsidentin Eveline Widmer-Schlumpf im Gespräch mit Klaus Bonanomi in Bern.

STANDARD: Das Schweizer Parlament hat in dieser Woche die neuen Abgeltungssteuer-Abkommen der Schweiz mit Deutschland, Österreich und Großbritannien genehmigt. Wie wichtig sind diese Abkommen für die Schweiz?

Widmer-Schlumpf: Es ist wichtig, dass das Parlament zugestimmt hat. Wir sind überzeugt, dass dies ein guter Weg ist, um einerseits die Vergangenheit zu regeln; die Regularisierung der unversteuerten Altvermögen auf Schweizer Bankkonten ist ein wichtiges Element in unserer Weissgeld-Strategie für einen sauberen Finanzplatz Schweiz. Zugleich sind diese Abkommen auch mit Blick auf die Zukunft von Bedeutung, weil wir so, mit der Quellenbesteuerung, dem Schutz der Privatsphäre der Bankkunden Rechnung tragen und trotzdem den Herkunftsländern den ihnen zustehenden Steuerbetrag überweisen können.

STANDARD: Also auch die Partnerstaaten gewinnen etwas?

Widmer-Schlumpf: Es ist eine Win-win-Situation. Einerseits bekommen sie Gelder aus der Regularisierung der unversteuerten Altvermögen, anderseits überweisen wir ihnen künftig direkt den Ertrag aus der Besteuerung der Vermögen, die ihre Bankkunden in der Schweiz haben; und zwar zu den gleichen Sätzen, die auch im Herkunftsland fällig würden. In Deutschland sind das 26,375 Prozent.

STANDARD: Gerade in Deutschland gibt es starke Opposition seitens der SPD-regierten Bundesländer: Es gebe weiterhin noch Steuerschlupflöcher. Man könne sein Geld noch bis Ende des Jahres anderswo in Sicherheit bringen.

Widmer-Schlumpf: Die Kapitalverkehrsfreiheit ist ein wichtiger Grundsatz, den wir nicht einfach rückwirkend außer Kraft setzen wollen. Aber wir wollen, dass diese neuen Abkommen möglichst rasch, ab dem 1.1.2013 in Kraft treten, damit solche Abflüsse nicht mehr vorkommen. Zudem haben wir uns in den Abkommen verpflichtet, dass wir den Partnerstaaten melden, wohin die größten Beträge abgeflossen sind. Wir sagen zum Beispiel, in das Land X ist der Betrag Y von deutschen Kunden abgeflossen. Natürlich geben wir nicht die einzelnen Kundennamen bekannt, sondern die Summen und die Destinationen. Somit können Deutschland oder Österreich dann selber dort vorstellig werden. Sie sehen, wir haben da eine Bremse eingebaut. Es wird nicht einfach sein, größere Beträge zu verschieben; man riskiert auch am neuen Ort Probleme.

STANDARD: Die OECD erhöht ja ihren Druck auch auf andere Finanzplätze. Heißt das, es gibt künftig gar keine sicheren Destinationen mehr für unversteuerte Gelder?

Widmer-Schlumpf: Das ist das Ziel, das die OECD global umsetzen will. Sie will ihren neuen Standard durchsetzen: Nur noch versteuerte Gelder, unter anderem auch dank besserer Amtshilfe in Steuersachen. Es wird zunehmend schwieriger werden, ein Land zu finden, welches unversteuerte Gelder überhaupt noch annimmt. Auch deshalb denke ich, dass nicht sehr viele Gelder aus der Schweiz abfließen werden. Denn hier hat der Kunde nun Rechtssicherheit, wenn die neuen Abkommen in Kraft sind; und hier kann er weiterhin von den Stärken des Finanzplatzes profitieren: Gute Betreuung, Kompetenz, Zuverlässigkeit. So lohnt es sich auch bisher, unversteuerte Gelder in der Schweiz zu lassen.

STANDARD: Sie waren gerade in Wien bei Ihrer Amtskollegin Maria Fekter. Gibt es dort weniger Skepsis gegenüber diesen Abkommen als in Deutschland?

Widmer-Schlumpf: Die Regierungskoalition aus SPÖ und ÖVP unterstützt klar die Abgeltungssteuer. Es gibt weniger Opposition. Die Regierung in Wien ist gleicher Meinung wie wir: Wir wollen, daß möglichst viele steuerpflichtige Personen ihre Steuerpflicht auch tatsächlich erfüllen, daß aber gleichzeitig die Privatsphäre der Bankkunden weitgehend gewahrt bleibt. Auch Österreich kennt ja das Prinzip des Bankkundengeheimnisses.

STANDARD: Sehen Sie in Frau Fekter auch eine Verbündete, wenn es darum geht, die Abgeltungssteuer in Europa als Alternative zum automatischen Informationsaustauch zu positionieren?

Widmer-Schlumpf: Das Modell Abgeltungssteuer ist unserer Meinung nach gleichwertig zum automatischen Informationsaustausch von Bankdaten. Das wird auch in Österreich so gesehen. Das Modell kann auch für andere Staaten interessant werden. Wir haben schon weitere Gespräche aufgenommen.

STANDARD: Sie treffen am 12. Juni Mario Monti in Rom. Schwenkt nun auch Italien auf Abgeltungssteuer-Kurs ein?

Widmer-Schlumpf: Das ist möglich, aber es ist noch zu früh, das jetzt schon zu sagen. Wir haben erst technische Vorgespräche aufgenommen, aber inhaltlich noch nichts entschieden. Wir haben mit Italien noch andere Fragen zu klären, die Grenzgängerbesteuerung zum Beispiel. Ich bin froh, daß mit der neuen Regierung nun wieder Gespräche mit Italien möglich sind.

STANDARD: Wie viele neue Abkommen nach OECD-Standard hat die Schweiz mittlerweile abgeschlossen?

Widmer-Schlumpf: Zurzeit haben wir etwa 40 solcher Abkommen ausgehandelt oder revidiert, gemäß denen wir dem Partnerstaat Daten bekanntgeben, wenn Verdacht auf Steuerbetrug oder Steuerhinterziehung besteht. Und wir sind laufend daran, neue Abkommen zu verhandeln.

STANDARD: Und was geschieht mit Bürgern aus andern Ländern, mit denen man keine solchen neuen Abkommen hat? Sind unversteuerte Vermögen aus diesen Ländern in der Schweiz weiterhin sicher?

Widmer-Schlumpf: Wir leisten dort Amtshilfe, wo wir ein Doppelbesteuerungsabkommen haben. Wir sind aber auch bereit, mit Ländern über Amtshilfe in Steuerfragen zu verhandeln, die kein neues DBA anstreben.

STANDARD: Könnte die Schweiz nicht ins neue Steueramtshilfegesetz reinschreiben, dass man generell Amtshilfe leistet bei Verdacht auf Steuerbetrug und Steuerhinterziehung?

Widmer-Schlumpf: Nein, wir wollen ja nicht allen Staaten Daten übergeben, sondern nur denen, die rechtsstaatliche Prinzipien einhalten. Es muss auch das dortige Rechtssystem den Schutz des Beschuldigten gewährleisten und ihm eine Beschwerde gegen ein Urteil ermöglichen. Wenn ein Verfahren in einem anderen Staat unseren Vorstellungen von Rechtsstaatlichkeit widerspricht, dann liefern wir keine Daten aus.

STANDARD: Es wird ja von Entwicklungsorganisationen gefordert, dass auch Drittweltstaaten zu ihrem Geld kommen, das von den dortigen Eliten außer Landes gebracht wurde und das auch auf Schweizer Bankkonten gelangt. Beispielsweise die Gelder der gestürzten Machthaber von Ägypten und Tunesien...

Widmer-Schlumpf: ...ja, aber gerade im Fall dieser Potentaten haben wir einige Geldsummen blockiert, die wir dann zurückgeben werden, wenn sich eine neue legitimierte Regierung in diesen Ländern gebildet hat. Im Umgang mit Potentatengeldern und übrigens auch im Kampf gegen die Geldwäscherei sind wir sehr weit fortgeschritten.

STANDARD: Und wie sieht es aus mit Schweizern, die Steuerdelikte begehen? Man kann ja wohl nicht den ausländischen Behörden Bankdaten herausgeben und gleichzeitig den Steuerbehörden der Schweizer Kantone gegenüber restriktiv sein, wenn Verdacht auf Steuerhinterziehung besteht. Wie lange gilt das Bankgeheimnis für Steuerhinterzieher im Inland noch?

Widmer-Schlumpf: Die Diskussion darüber ist eröffnet. Wenn wir von vorsätzlicher Steuerhinterziehung in größerem Ausmass sprechen, wenn also jemand nicht bloss etwas anzugeben vergisst und es nicht um geringfügige Beträge geht, dann stellt sich die Frage, ob wir hier nicht wie bei Steuerbetrug vorgehen und ein solches Verhalten unter Strafe stellen sollten; dann wäre auch die Herausgabe von Bankdaten im Verdachtsfall möglich.

STANDARD: Ihre ehemalige Partei, die Volkspartei SVP, möchte anderseits das Bankgeheimnis gar in der Bundesverfassung verankern. Was sagen Sie zu dieser Idee?

Widmer-Schlumpf: Das Bankgeheimnis für ehrliche Kunden gilt weiterhin, auch wenn es dereinst vielleicht auch für Steuerpflichtige, die in schwerwiegender Weise Steuern hinterziehen aufgehoben werden sollte. Wer sich nichts zuschulden kommen lässt, hat nichts zu befürchten, für den gilt das Bankgeheimnis weiter. Es schützt nicht den Missbrauch, sondern es schützt rechtschaffene Bürger, die sich korrekt verhalten.

STANDARD: Ab wann ist der Finanzplatz Schweiz wirklich sauber?

Widmer-Schlumpf: Wir haben Anfang Jahr unsere Weißgeld-Strategie vorgestellt. Einzelne Elemente sind bereits in Kraft oder werden derzeit umgesetzt, mit den neuen Abkommen. Es braucht aber weitere Schritte, die sicherstellen, dass die Finanzdienstleister ihre Sorgfaltspflicht wahrnehmen und künftig nur noch versteuerte Gelder annehmen. Ob mit einer Selbstdeklaration oder mit anderen Mitteln - Ziel ist es, dass wir auch in Zukunft einen wettbewerbsfähigen, international anerkannten Finanzplatz haben. Im Herbst werden wir entsprechende Vorschläge unterbreiten.

STANDARD: Die Schweizer Grossbanken UBS und Credit Suisse sind so groß und für die Schweizer Volkswirtschaft so wichtig, dass der Staat sie nicht fallen lassen kann und sie im Notfall unterstützen muss. Wie weit sind Sie hier mit der Regulierung?

Widmer-Schlumpf: Das entsprechende Gesetz ist vom Parlament verabschiedet, jetzt geht es noch um die Regelung der Einzelheiten, damit das Gesetz am 1.1.2013 in Kraft treten kann. Wir müssen sicherstellen, dass die Grossbanken auch im Notfall genügend Eigenkapital und genügend Liquidität haben und dass man den systemrelevanten Teil des Geschäfts im Notfall abtrennen kann. Es darf sich nicht wiederholen, was wir erlebt haben, mit der Rettung der Großbank UBS. Die Banken haben nicht an allem Freude, unter anderem an den höheren Eigenkapitalvorschriften, aber am Ende ist auch für sie die „Too big to fail"-Vorlage eine machbare Lösung.

STANDARD: Sie waren gerade in Wien, nicht nur als Finanzministerin, sondern auch als Schweizer Bundespräsidentin. Wie gut ist das Verhältnis zwischen der Schweiz und Österreich?

Widmer-Schlumpf: Wir haben ein sehr gutes Verhältnis, wir können sehr pragmatisch zusammenarbeiten. Das hat man gerade jetzt wieder gesehen, in Zusammenhang mit dem Steuerabkommen, das Frau Fekter und ich und unsere Mitarbeiter in kürzester Zeit ausgearbeitet haben. Unsere Zusammenarbeit funktioniert aber auch auf anderen Gebieten. Wir haben etwa beschlossen, junge Diplomaten auszutauschen und ihnen Praktika im Partnerland zu ermöglichen. Es besteht auch gute eine Zusammenarbeit bei der Alpenkonvention, wo wir in Fragen der Berglandwirtschaft, des Verkehrs und der Energiepolitik gemeinsam aktiv sind. Gerade erst haben wir auch vereinbart, daß wir zusammen mit Österreich und Deutschland gemeinsam den Bau und die Erweiterung von Pumpspeicherkraftwerken vorantreiben wollen.

STANDARD: Der österreichische Außenminister Spindelegger war kürzlich in Glarus an der Landsgemeinde, also an der Versammlung der Kantonsbevölkerung, und erzählte daraufhin in Wien, auch in Österreich sollte man mehr direktdemokratische Elemente einführen. Finden Sie das auch eine gute Idee?

Widmer-Schlumpf: Die Glarner Landsgemeinde können Sie natürlich nicht in Wien durchführen. Das funktioniert nur in kleinräumigen Verhältnissen. Aber er hat recht, das ist die urtümlichste und eindrücklichste Form der direkten Demokratie und ist auch heute in einem gewissen Rahmen eine gute Lösung. Ich habe in Wien auch mit dem Bundeskanzler und dem Bundespräsidenten darüber diskutiert. Wir haben in der Schweiz sehr viele Abstimmungen, auch über Sachfragen, gerade am 17. Juni gibt es wieder mehrere Abstimmungen in Bund, Kantonen und Gemeinden. Die Schweizer Bürger wählen nicht nur ihre politische Vertretung, sondern sind stärker als anderswo in die Politik involviert.

STANDARD: Aber diese direkte Demokratie führt manchmal doch zu problematischen Ergebnissen. Das erleben wir jetzt gerade am Beispiel der Ausschaffungsinitiative der SVP, die auf einer populistischen Welle zum Erfolg kam und die fordert, dass straffällig gewordene Ausländer abgeschoben werden; nun zeigt es sich, dass dieses Begehren kaum völkerrechtskonform umgesetzt werden kann.

Widmer-Schlumpf: Solche Probleme gibt es in der Tat; doch das müssen wir in Kauf nehmen. Nach heutiger Regelung wird ein Volksbegehren nur ungültig erklärt, wenn es den zwingenden Bestimmungen des Völkerrechts widerspricht. Wenn nein, dann kann das Volk darüber abstimmen; und wenn es zustimmt, dann ist der Entscheid umzusetzen, auch wenn bei der Umsetzung Probleme mit dem sogenannt nicht zwingenden Völkerrecht auftreten wie zum Beispiel mit dem Freizügigkeitsabkommen mit der EU. (Klaus Bonanomi, DER STANDARD, Langfassung, 1.6.2012)