Kein gemeinsames Agieren mehr von Schwarz und Grün in Graz. Die Koalition ist geplatzt.

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Im März 2008 wurden Siegfried Nagl und Lisa Rücker angelobt. Ein Jahr vor der Wahl gehen sie wieder getrennte Wege.

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Der Geschäftsführer der Grazer ÖVP, Bernd Schönegger, schließt nicht aus, dass es eine Neuauflage von Schwarz-Grün geben wird.

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Grünen-Bundessprecherin Eva Glawischnig über die ÖVP: "Wenn es um drei Parkplätze geht, kriegen sie kalte Füße."

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Die Wiener Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou steht zu Rot-Grün: "Wir haben eine Vielzahl von Projekten, die wir gerade umsetzen, und es herrscht eine gute Stimmung."

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Werner Kogler: "Der Grazer Bürgermeister ist den falschen Beratern aufgesessen."

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Rudi Anschober, Landesrat in Oberösterreich: "Politik ist keine Liebesheirat."

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Bürgermeister Siegfried Nagl hat am Telefon Schluss gemacht. Die Zusammenarbeit zwischen ÖVP und Grünen in Graz ist geplatzt. Am Mittwoch gab er das Ende der Koalition bekannt. Sie galt lange Zeit als Musterbeispiel, nach der schwarz-grünen Zusammenarbeit in Oberösterreich war sie österreichweit die erste Stadtkoalition mit grüner Regierungsbeteiligung. Ein Jahr vor der Wahl gehen die Parteien nun aber wieder getrennte Wege. Sind die Grünen nicht regierungsfähig? Ist die ÖVP ein zerstrittener Haufen, der keine Koalition aufrechterhalten kann?

Die grüne Bundessprecherin Eva Glawischnig sagt im Gespräch mit derStandard.at über die Kompatibilität ihrer Partei mit der ÖVP: "Inhaltlich haben sie sich unter Spindelegger noch weiter von uns entfernt." Innovative Verkehrspolitik sei für die ÖVP schwer verträglich, "wenn es um drei Parkplätze geht, kriegen sie kalte Füße".

Es gebe in der Volkspartei aber ganz unterschiedliche Kräfte. Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner und Bernd Schilcher sieht sie als Vertreter einer flexibleren und offeneren ÖVP. Auch die "respektvolle Zusammenarbeit" zwischen Josef Pühringer und Rudi Anschober in Oberösterreich lobt Glawischnig: "Hier haben sich alle Befürchtungen als Blödsinn herausgestellt."

"Nerven weggeschmissen"

Die Grazer Vizebürgermeisterin Lisa Rücker war einen Tag nach Aufkündigung der Koalition jedenfalls enttäuscht, meint aber: "Es gehört zur Politik dazu, dass man nicht immer selbst entscheidet, wie es weitergeht." Rücker ist überzeugt, dass Schwarz-Grün funktionieren kann. "Wir haben einen sehr guten Koalitionsvertrag ausverhandelt, haben viele Projekte gemeinsam umgesetzt." Die Koalition trage eine klare Handschrift im Bereich der Mobilitätspolitik und beim nachhaltigen Bauen. "Es gibt ein grünes Profil, das in der Stadt spürbar geworden ist."

Zum vorzeitigen Koalitionsende sagt Rücker: "Der Bürgermeister hat die Nerven weggeschmissen." Der Druck innerhalb der ÖVP sei groß geworden. "Ich halte es auch für eine wahltaktische Entscheidung, den Wahlkampf unabhängig bestreiten zu können."

Der Konflikt um die Bürgerbefragung rund um die Reininghaus-Gründe, den Nagl als Grund für das Aus anführte, ist in Rückers Augen vorgeschoben. "Wir verstehen überhaupt nicht, warum da so ein hoher Zeitdruck aufgebaut wurde." Vielmehr sei Nagl von seinen eigenen Leuten "sehr massiv in die Enge gedrängt worden, das Ausstiegsszenario war ihm durchaus recht". Auch vom Land habe es sehr großen Druck auf Nagl gegeben, eine Zusammenarbeit mit der SPÖ herzustellen.

"Für uns ist die Türe nicht zu"

Was bedeutet das Ende der Zusammenarbeit für die Zukunft der Grünen in Graz? "Wir gehen jetzt in den Wahlkampf. Die Bürger und Bürgerinnen werden entscheiden, welchen Kurs sie für die Stadt wollen", gibt sich Rücker kämpferisch. Je nachdem, wie die Wahl ausgeht, werde man sehen, welche Zusammenarbeiten möglich sind. "Für uns ist die Türe nicht zu", man müsse abwarten, wer bei der ÖVP nach der Wahl das Sagen hat.

"Es war nicht mehr auszuhalten"

Bernd Schönegger, Geschäftsführer der Grazer Volkspartei,  bezeichnet die zerbrochene Koalition als "wahnsinnig energieraubend". Zu Beginn der schwarz-grünen Zusammenarbeit sei man "natürlich skeptisch" gewesen. Die Große Koalition davor sei aber auch "sehr mühsam" gewesen und habe nicht den gewünschten Erfolg gebracht.

Schönegger, der seit 2008 im Nationalrat sitzt, kritisiert, dass die Grazer Grünen ständig zwei Schritte vor und dann wieder drei Schritte zurück gesprungen seien. "Es war nicht mehr auszuhalten. Irgendwann muss man klar Schiff machen bei so wichtigen Projekten", so Schönegger. Er räumt aber auch ein, dass 85 Prozent der Dinge, die man sich gemeinsam vorgenommen habe, umgesetzt worden seien. "Die Grünen befinden sich in einem Lernprozess, man braucht andere Strukturen, wenn man regiert", sagt er.

Eine Wiederauflage von Schwarz-Grün in Graz sieht er trotzdem nicht "gänzlich ausgeschlossen". Und auf Bundesebene wäre es laut Schönegger ein spannendes Projekt, "wo man viel weiterbringt. Das täte der Republik gut."

"ÖVP hat keine Handschlagqualität"

In Wien ist Maria Vassilakou seit eineinhalb Jahren Vizebürgermeisterin einer rot-grünen Regierung. "Die Grünen sind auf alle Fälle reif und fähig zu regieren. Das Problem ist manchmal - wie man sieht - der Partner. Aber man kann sich seine Partner in der Politik nicht immer aussuchen", lautet ihr Urteil zur geplatzten Grazer Koalition. Sie findet es schade, dass die Zusammenarbeit beendet wurde. "Es hat sehr gut funktioniert bis zuletzt. In Graz ist sehr viel weitergegangen", sagt sie zu derStandard.at.

Laut Vassilakou kann man erkennen, "wie zerrüttet die ÖVP ist. Leider hat sie keine Handschlagqualität." Dass eine Zusammenarbeit mit der SPÖ leichter fällt als mit der ÖVP, glaubt sie nicht. "Es ist immer so bei den Großparteien, dass es Menschen gibt, mit denen man sich sehr wohl auf einen ökologischen Weg einigen kann." Die Frage sei, wer Oberwasser in der Partei behalte: die konstruktiven Kräfte oder diejenigen, "die Richtung Tea Party gehen wollen", wie es Vassilakou formuliert. "Leider scheint es in Graz so zu sein, dass innerhalb der ÖVP die Tea Party zugeschlagen hat." Je mehr die ÖVP in Umfragen in Bedrängnis gerate und in den Städten auch Schwierigkeiten habe, umso mehr brächen "krasse interne Konflikte" aus, sagt die Wiener Vizebürgermeisterin. "Es gibt eine starke interne Zerrüttung und Spaltungstendenzen."

Was lernt Vassilakou aus dem Grazer Vorfall? "Dass jemand in der Politik plötzlich rotsieht, ist immer möglich. Ich wüsste aber nicht, warum uns das in irgendeiner Art in Wien tangieren sollte, wenn sich die ÖVP offensichtlich in Endzeitstimmung befindet." Die Koalition mit der SPÖ funktioniere gut: "Wir haben eine Vielzahl von Projekten, die wir gerade umsetzen, und es herrscht eine gute Stimmung."

"Eigentor" für ÖVP

Rudi Anschober, Sprecher der Grünen in Oberösterreich, kennt die Regierungszusammenarbeit mit der Volkspartei aus eigener langjähriger Erfahrung. Gemeinsam regieren die beiden Parteien seit 2003. Auch Anschober sagt, Nagls Koalitionsbruch sei "beinhartes Wahlkalkül" gewesen: "Er rechnet sich bessere Chancen aus, wenn er sich von den Grünen abgrenzt. Ich glaube, das wird ein Eigentor." 

Aber der Umweltlandesrat will deshalb keine zukünftigen Koalitionen mit der ÖVP ausschließen. "Politik ist ja keine Liebesheirat", sagt Anschober, sondern es sei eine "inhaltliche Durchsetzungssache". Er ist allerdings der Meinung, dass sich die ÖVP auf Bundesebene in Bildungs- und Umweltfragen in hohem Tempo von seiner Partei wegbewege.

Stabiler Partner

Werner Kogler, stellvertretender Klubobmann auf Bundesebene und Landesvorsitzender der Grünen in der Steiermark, glaubt nicht, dass es nie wieder eine schwarz-grüne Koalition in Graz geben wird. "Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen." Die Grazer Grünen hätten sich als stabiler Partner erwiesen. Kogler bezeichnet es als eine völlig falsche Entscheidung des Grazer Bürgermeisters, die Koalition platzen zu lassen. Er sei den falschen Beratern aufgesessen.

"Kein Partner für ÖVP"

Auf Bundesebene unterstützt die ÖVP Nagls Agieren aber. Generalsekretär Hannes Rauch hat die Aufkündigung in einer Aussendung als "konsequenten und nachvollziehbaren Schritt" angesichts der grünen "Ankündigungspolitik" bezeichnet. Die Grünen würden - "wie auch in Wien" - die Zusammenarbeit mit der Bevölkerung verweigern und nur auf den Machterhalt schielen. Wer nicht bereit sei, "ernsthaft für die Anliegen der Menschen zu arbeiten", könne kein Partner für die ÖVP sein. (Stefan Hayden/Rosa Winkler-Hermaden, derStandard.at, 31.5.2012)