Diversifikation ist eines der wenigen Konzepte der modernen Finanzwelt, das auf breiten Konsens stößt. Bei keynesianischen Ökonomen wie James Tobin wird sie ebenso hoch gehalten wie von Mainstream-Klassikern wie Harry Markowitz. Die Streuung des Anlagerisikos bildet für viele die Ausnahme der Regel "There is no such thing as a free lunch" (Nichts ist umsonst).

Doch die Diversifikation scheint in Gefahr, warnen etwa die Analysten von Morningstar. Im Zuge der Krise sind die Korrelationen zwischen einzelnen Assetklassen, aber auch innerhalb von Anlageklassen drastisch gestiegen. So ist mittlerweile gut dokumentiert, dass sich die Korrelation einzelner Aktien, aber auch zwischen verschiedenen Sektoren, deutlich erhöht hat. Der Nutzen, neben Industrie- auch Pharma- oder Energietitel im Portfolio zu halten, nimmt damit ab, Portfolios werden riskanter, weil sich viele Titel im Gleichklang bewegen.

Die Schuldigen sind schnell gefunden: passive Investmentprodukte. Das Argument ist einfach: Wenn Investoren nun passiv in einen Markt investieren, dann kaufen sie die Aktien unabhängig von ihrer Bewertung, sondern wegen ihrer Marktkapitalisierung und ihrem Indexgewicht. Änderungen in der Risikoaversion der Anleger führen damit zu gleichmäßigen Zuflüssen in unterschiedliche Aktien. Tatsächlich bestätigen etwa die Fondsanalysten von Morningstar, dass die Korrelation auf Aktienebene mit dem Anteil passiver Investoren steigt. Sektoren und Einzeltitel bewegen sich immer öfter miteinander.

Analysten von JPMorgan haben daher bereits vor einer "Korrelations-Blase" gewarnt. Tatsächlich zeigen verschiedene Indikatoren an, dass die Korrelationen deutlich gestiegen sind, und - wie etwa Reuters-Kolumnist Felix Salmon vergangenen Sommer schrieb - wohl nicht so schnell wieder zurückkommen werden. Dass das Thema auch gehyped wird, zeigt die Chicagoer Optionsbörse. Sie hat vor einiger Zeit einen Korrelationsindex aufgelegt, und es damit Marktteilnehmern ermöglicht, die Korrelation am Aktienmarkt mit Derivaten zu handeln. Die Tendenz: stark steigend.

Passiv oder politisch?

Doch Lubos Pastor, Ökonom an der University of Chicago, warnt davor, das Kinde mit dem Bade auszuschütten. In einem Papier führt er die jüngst gestiegenen Korrelationen auf politische Unsicherheiten zurück: "Wenn das politische Risiko, etwa in der Eurozone, steigt, trifft das viele Aktien gleichermaßen", sagt er im Gespräch mit derStandard.at. Gleichzeitig seien die passiven Investmentprodukte noch ein relativ kleiner Spieler am Aktienmarkt, trotz des gestiegenen Interesses in der jüngsten Vergangenheit.

Weltweit sind knapp 1,5 Billionen Dollar in ETFs (passive börsengehandelte Fonds) investiert, zeigen Daten von Blackrock. Ein kleiner Teil, im Vergleich zu den weltweiten Aktienmärkten, die laut jüngster Schätzung von McKinsey eine Kapitalisierung von knapp 50 Billionen Dollar aufweisen. Gleichzeitig sind aber auch immer mehr aktive Fondsmanager dazu übergegangen, den Markt sehr passiv abzubilden, wie etwa die Forschungen von Yale-Professor Martijn Cremers zeigen.

Dazu kommt noch eine andere, stärkere Kraft hinter den Aktienmärkten. Der Hochfrequenzhandel. Die Turbo-Trader, die in wenigen Millisekunden vollautomatisch Rohstoffe und Aktien handeln, sind für einen immer größeren Teil des Handelsvolumens verantwortlich (am US-Aktienmarkt schätzt das Beratungsunternehmen Tabb Group den Anteil aktuell auf knapp 50 Prozent). Auch die Kollegen von FTAlphaville haben dieses Thema bereits aufgegriffen.

Die Zeit wird zeigen, welches Lager Recht behält. Korrelationen sind aktuell überdurchschnittlich hoch, und ob Hochfrequenzhandel, passive Fonds oder politische Unsicherheit dahinter stehen, ist keine ausgemachte Sache. Anleger jedenfalls müssen wohl hinnehmen, dass die Diversifikation zwischen riskanten Anlagen nicht mehr das ist, was sie mal war. (Lukas Sustala, derStandard.at, 31.5.2012)