Ein 1949 am Tulbinger Kobel gepflücktes Maiglöckchen und ein Zweig Bittersüß sind Elemente in Spoerris Geschichten.

Foto: Reichmann

Wien - Es sind nur kleine Fische. Dennoch sind sie irrsinnig kostbar: Die rot etikettierten Gläser, in denen sie ihr alkoholisches Bad nehmen, weisen sie als Typen aus. Der Typus ist jenes Individuum, anhand dessen eine Art erstmals beschrieben wurde - sprich die Heiligtümer einer jeden Naturkundesammlung. Dank Expeditionen während der Übersee-Euphorie bzw. aus Anlass der Heirat Leopoldines von Österreich mit dem Kronprinz Brasiliens (Forscher Johann Natterer blieb gleich 14 Jahre) darf sich das Wiener Naturhistorische Museum (NHM) rühmen, die größte und älteste Sammlung von Fisch-Typen aus dem Amazonas-Gebiet zu haben.

Was heißt das für die Forschung? Findet ein brasilianischer Ichthyologe bei "seinen" Fischen ein neues Merkmal, muss er bis nach Wien zum " Ur-Fisch" reisen. Irgendwie absurd.

Auch solche Geschichten über das Sammeln können sich derzeit im NHM entwickeln. Der Dialog des Museums mit Künstler Daniel Spoerri, einem passionierten Sammler im Privaten, der zu mehr als zwanzig Erkundungszügen in das unterirdische Labyrinth des Hauses ausgezogen ist, bereitet einen fruchtbaren Boden, der anregt, über die Institution Museum und das institutionalisierte Sammeln nachzudenken. Der andere Fokus, die fremde Perspektive auf die in den Depots gelagerten Schätze, brachte auch den Wissenschaftern und Kustoden im Museum neue Erkenntnisse und Wiederentdeckungen. So hob man also die "Spoerri-Wand", die riesige Gitterwand voller Rinder- und Büffelschädel, in den Ausstellungsraum. Indiz einer martialischen Trophäenkultur und Jäger-Romantik, die Spoerri in einen irrwitzigen Sessel aus lauter Hirschgeweihen überführt.

Spoerri, Begründer der Eat-Art und Schöpfer der Fallenbilder, die buchstäblich die Tafel aufheben und zum Bild werden lassen, bezeichnete das Rezept für eine Schildkrötensuppe einmal Rezept für einen Mord: Mehr als diesen Hinweis braucht es nicht, um beim Betrachten der kunstvoll präparierten Schildkröten zu erschaudern: Ihr Inneres lässt sich dank Scharnieren wie ein Schränkchen öffnen. Spoerri selbst hat einen bemalten Schildkrötenpanzer mit Kopf und Kappe vermenschlicht. Geschichte des Briefkastens ist das "Subjekt" betitelt. Ein Verweis auf Grausamkeiten - man denke an Schirmständer aus Elefantenfüßen - der Jagd.

Daniel Spoerri im NHM. Ein inkompetenter Dialog? heißt dieses, die Sammlungen des Hauses aufmischende Experiment: Der Praxis von Sortieren, Präparieren, Katalogisieren sind die ebenso skurrilen wie lustvollen, an die Tradition der Wunderkammern erinnernden Assemblagen Spoerris gegenübergestellt; die Farben Grün und Violett markieren die unterschiedlichen Zugänge zweier leidenschaftlicher Sammler. Das Produkt ihres Dialogs ist ein Kompositwesen, das womöglich dauerhaft im Museum bleibt: Spoerri lieh einem Python des NHM, dem der Kopf verloren gegangen ist, einen Tigerschädel. Ein Monstrum, in dessen tödlichem Gebiss ein buntes Vögelchen sitzt. "Dass das Skelett von einem Tigerpython ist, höre ich heute das erste Mal", freute sich Spoerri bei der Eröffnung.

Besonders augenscheinlich wird das Zwiegespräch in einer Vitrine, in der Kunst und Wissenschaft aufeinandertreffen: Spoerris galvanisierte Echsen auf präparierte Mini-Krokodile, Fantasievögel aus mit Federn besetzten Tierschädeln auf Kakadu und siamesisches Feldhäschen.

Einhörner und Narwale

Entzückend sind die Geschichten, ja Märchen, die Spoerri auf den am Flohmarkt gefundenen Herbarienblättern weiterspinnt. Fehlstellen ergänzt er mit Zirkelschräubchen, Perlen, Federn, Holz oder Knöchelchen. Auch in einer anderem Herbarium wurde hinzugefügt: Im mehr als 400 Jahre alten kostbaren "Kreuterbuch" aquarellierte man etwa die fehlenden Chilischoten zur getrockneten Pfefferpflanze. Auch Fabelwesen wie die Einhörner stellt er wieder her. Für den Aufputz am Pferdeschädel lieh Spoerri sich den linksgedrehten Zahn des Narwals, von dem das Naturhistorische Museum sogar die Rarität eines Exemplars mit zwei solch gigantischer Stoßzähne besitzt. Ihr Nutzen ist bis heute nicht eindeutig geklärt. Spoerri: "Wahrscheinlich eines dieser überflüssigen Macho-Dinge, die viele Tiere haben."

Aber auch der fantasiebegabte Homo sapiens Spoerri ist nicht ganz von Machismo freizusprechen: Ineinander gestapelte Riesenmuscheln zu einer Vagina dentata zu machen, gehört zu männerfressenden Vorstellungen vom weiblichen Geschlecht aus dem vorvorigen Jahrhundert. So etwas ist wirklich entbehrlich.   (Anne Katrin Feßler, DER STANDARD, 31.5.2012)