In den Tiefen der Erde geht es alles andere als ruhig zu: Große Mengen an Flüssigkeiten - von den Geowissenschaftern "Fluide" genannt - bahnen sich ihre Wege durch das Gestein und haben dabei entscheidenden Einfluss auf die Bildung von Magma. Ein internationales Forscherteam hat nun festgestellt, dass diese Fluide um ein Vielfaches schneller durch massives Gestein unterwegs sein können als bislang angenommen.

Im chinesischen Tianshan-Gebirge, so wiesen die Wissenschafter um Timm John und Nikolaus Gussone vom Institut für Mineralogie der Universität Münster nach, bahnten sich Fluide in nur 200 Jahren aus großer Tiefe den Weg in den Erdmantel anstatt im Laufe von Zehn- oder sogar Hunderttausenden von Jahren. Die Forscher aus Münster, Kiel, Bochum, Erlangen, Bethlehem (USA) und Lausanne (Schweiz) stellen ihre Ergebnisse, die auf einer innovativen Kombination von Geländearbeit, geochemischer Analytik und numerischen Berechnungen beruhen, in der aktuellen Ausgabe der renommierten Fachzeitschrift "Nature Geoscience" vor.

Wenn sich Erdplatten aufeinander zu bewegen und sich an den Rändern übereinander schieben, bilden sich sogenannte Subduktionszonen. Dabei wird die nach unten absinkende Platte aufgeheizt und das in ihren Gesteinen gespeicherte Wasser kontinuierlich als Fluid freigesetzt. Das Fluid dringt in den Erdmantel ein, der sich über der absinkenden Platte befindet. Dabei erniedrigen die Fluide den Schmelzpunkt des Mantelgesteins, und die sich bildenden Schmelzen steigen als Magma zu den Vulkanen auf. Dieses Magma speist die vielen Vulkane, die weltweit entlang der sich übereinander schiebenden Plattengrenzen auftreten und den "Ring of Fire" bilden, einen Vulkangürtel, der den Pazifischen Ozean umgibt. Die Fluide strömen in einem definierten Flusssystem durch das Gestein, so die gängige Annahme. Diese Strukturen nennen Geologen "Adern".

Massive Fluidflüsse in großer Tiefe

Bei Geländearbeiten im chinesischen Teil des Hochgebirges Tianshan ("Himmelsgebirge") fanden Timm John und seine Kollegen in den von ihnen untersuchten Gesteinen Strukturen, die auf massive Fluidflüsse in großer Tiefe zurückzuführen sind. "Unsere Untersuchung hat gezeigt, dass sehr viel Fluid durch eine Gesteinsader in etwa 70 Kilometern Tiefe geflossen sein muss und dass dieses Fluid offensichtlich schon eine Strecke von einigen Hundert Metern oder mehr zurückgelegt hat - den Transport von so großen Fluidmengen über eine so große Strecke hat vor uns noch niemand nachgewiesen", erklärt Timm John. "Und das Spannendste ist, dass diese Menge Fluid in einer für geologische Prozesse sehr kurzen Zeit, in nur etwa 200 Jahren, durch das Gestein floss", fügt Nikolaus Gussone hinzu.

Zwar ist die Freisetzung der Fluide aus Mineralen in den absinkenden Platten ein großräumiger und kontinuierlicher Prozess, der in Tiefen bis zu 200 Kilometern erfolgt und Jahrmillionen dauert. In dieser Zeit sammeln sich die Fluide zunächst. Wie die Forscher nun erstmals zeigen konnten, durchströmten die freigesetzten Fluide die Platte auf ihrem Weg in den Erdmantel dann pulsweise in vergleichsweise kurzer Zeit entlang definierter Fließbahnen.

"Düsenstrahl durch festes Gestein"

"Das ist vergleichbar mit einem Stausee, der sich kontinuierlich füllt und sich dann in einem Schwall über definierte Kanäle leert", meint John. "Die Fluidfreisetzung erfolgt fokussiert in Raum und Zeit, und zwar viel schneller als gedacht - quasi wie ein Düsenstrahl durch festes Gestein."

Die Wissenschafter hoffen, in zukünftigen Studien räumliche und zeitliche Korrelationen zwischen solchen Fluidpulsen und vulkanischer Aktivität aufzeigen zu können. Zudem ist es möglich, dass solche fokussierten Fluidfreisetzungen mit dem Auftreten von Erdbebenereignissen in Subduktionszonen einhergehen. Um solche Zusammenhänge aufzeigen zu können, sind aber noch intensive Forschungen nötig. (red, derstandard.at, 29.5.2012)