In jedem Konflikt gibt es einen Wendepunkt in die eine oder andere Richtung, und meistens wird dieser erst retrospektiv als solcher identifiziert. Im Fall Syrien ist es nun jedoch so, dass die internationale Gemeinschaft die Ereignisse von Houla für sich selbst als jenen Einschnitt festlegt, nach dem es nicht mehr so weiter gehen kann wie zuvor. Houla ist nicht das erste große Massaker an Zivilisten während des Aufstands, und Fragen zu Details bleiben offen. Aber einmal ist es genug, und das Assad-Regime trägt die Verantwortung dafür, für die Taten der eigenen Armee und für die der paramilitärischen alawitischen Shabiha-Milizen, die die meisten der Opfer in Houla in ihren Häusern niedergemetzelt haben dürften.

Was dem Massaker voranging, was es auslöste, darüber kann man nur spekulieren - wie etwa, ob es nicht nur eine geografische Nähe, sondern auch einen inhaltlichen Zusammenhang zwischen Houla und dem Dorf Madhale gibt, aus dem Bashar al-Assads Schwager Assef Shawkat stammt. Auf ihn wurde ja gemeinsam mit anderen Regimemitgliedern ein Giftmordanschlag verübt (dessen Ausgang unsicher ist). Die Anmutung von Fememorden haben die Vorfälle in Houla allemal.

Die internationale Gemeinschaft reagiert mit Abscheu. Das heißt aber nicht, dass es im Uno-Sicherheitsrat nun eine einheitliche Sicht auf den Konflikt gibt, bei dem Russland und China immer auch ins Treffen führen, dass man nicht so tun sollte, als wären alle bewaffneten Rebellen an Dialog und Frieden interessiert. Aber auch in Moskau und in Peking nähert man sich der Einsicht, dass das Regime Assad, auch wenn es noch länger überleben sollte, kein Partner für die Zukunft sein kann. Es geht ja nicht um die Freundschaft zu einem kleinen wildgewordenen Diktator, sondern um die Interessen in der Region.

Jemenitische Variante

Die "New York Times" schrieb am Samstag, dass sich Russland dem "Yemenskij Variant", der jemenitischen Variante, nicht mehr völlig verschließt. Allerdings verbinden die USA auf der einen und Russland auf der anderen Seite denselben Plan mit einem völlig unterschiedlichen Ziel: Für Washington wäre der Abgang Ba shar al-Assads zugunsten einer anderen Figur zumindest der Anfang des Endes des Regimes, für Moskau ein Weg, die Strukturen des alten Regimes zu erhalten, mit anderen Akteuren. Im Jemen sieht das heute so aus: Der Präsident ist weg, hat aber seine Macht längst noch nicht aufgegeben. Für Assad und die Seinen - eine ganze Volksgruppe - hätte der Rücktritt jedoch ad hoc wohl dramatischere Folgen.

Die Frage ist, ob und wie Assad trotzdem dazu gebracht werden kann, oder seine Umgebung, ihn dazu zu zwingen. Die Antwort ist wohl: Nur Russland hat - vielleicht - so viel Einfluss in Damaskus, das zu bewerkstelligen. In diesem Sinne sollte man sich abseits allen moralischen Kopfschüttelns über die Russen genau anhören, was diese zu sagen haben.

Was die syrische Opposition erreichen will - eine militärische Intervention in Syrien -, ist nicht unbedingt nähergerückt. Die Bilder von Houla sind stark, man sollte ihren Einfluss, der via Medien multipliziert wird, nicht unterschätzen. Aber das Vertrauen zur Opposition ist nicht größer geworden, auch wegen dieser Bilder. Beide Seiten sind zynisch: die einen, weil sie mit diesen Bildern operieren, die anderen, weil sie ihnen nicht genügen. Und in Syrien dauert das Morden an.  (Gudrun Harrer, DER STANDARD, 30.5.2012)