Über "Best of Indie-Games":

Best of Indie-Games ist eine monatliche Koproduktion des GameStandard mit VideoGameTourism.at. Autor Rainer Sigl schreibt seit mehreren Jahren über Games, unter anderem für FM4, Telepolis und "The Gap". Seit Jänner 2012 betreibt er gemeinsam mit Robert Glashüttner die Website VideoGameTourism.at – das Games-Feuilleton mit dem Ziel, Texte zum Thema Computerspiel abseits von Review-Alltag und Marketing-Hype zu versammeln.

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Games sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen: Noch nie beschäftigten sich so viele Menschen mit elektronischen Spielewelten. Das bedeutet "Max Payne 3"-Plakate an jeder Bushaltestelle und leere Lokale nach dem Release großer Titel wie "Diablo III" – Spiele sind spätestens 2012 Pop-Mainstream. Doch im Schatten der Multimillionen-Dollar-schweren Games-Industrie mit ihren Hochglanztiteln für den Massengeschmack blüht auch ein Games-Underground, der zunehmend an Popularität gewinnt.

Der Begriff "Independent Games" hat zwar seit Electronic Arts "EA Indie Bundle" schwere Schlagseite, denn "indie", also unabhängig von einem großen Publisher zu sein, sagt eigentlich längst nichts mehr über die Spiele aus, die sich in der langsam zu eng werdenden Schublade tummeln. Der Geist der Indie-Games aber bleibt davon unberührt: Indie, das steht für den Games-Underground, der sich vom Mainstream durch Innovation, Nischenbewusstsein und Dialog mit den Fans unterscheidet.

Abseits des Mainstreams

So wie das Off-Theater am Rande des etablierten Theaterbetriebes mit unkonventionellen Methoden und wenig Budget sein Medium voranbringt, bieten Independent-Games Spieleentwicklern eine Bühne, auf der sie abseits des Hochglanz-Mainstreams ohne Rücksicht auf Massentauglichkeit etwas Neues ausprobieren können.

Als Einblick in diesen lebendigen Underground zwischen Experiment, Retro-Nischentum und neuem Hardcore als Auftakt hier die bemerkenswertesten Titel der letzten Wochen – Independent-Games, abseits des Mainstreams.

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"Legend of Grimrock" (PC/Mac, iOS in Vorbereitung, 13,99 Euro)

Nostalgie kann ganz schön frisch sein: Wie die vier finnischen Jungs von Almost Human dem Games-Uropa "Dungeon Master" (1987!) mit "Legend of Grimrock" neues Leben einhauchen, ist bemerkenswert und wurde auch mit kommerziellem Erfolg belohnt. Mit einer Vierertruppe Fantasy-typischer Abenteurer erforscht man Schritt für Schritt, klassisch in 90-Grad-Drehungen, eine liebevoll gestaltete Unterwelt samt in Echtzeit angreifenden Monstern und kniffligen Rätseln – und bemerkt: In manchen alten Spielprinzipien steckt auch heute noch viel mehr Spaß als gedacht.
So retro, dass es schon wieder frisch ist, und durch seine knackige Härte und originelle Rätsel grad die richtige Abwechslung zum Diablo-Monster-Totklickmarathon. Unsentimental und beileibe nicht nur für Nostalgiker empfehlenswert.

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"Botanicula" (PC, Mac, iOS, 7,99 Euro)

Jakub Dvorskys "Botanicula" verdankt seinen umwerfenden Charme der Erinnerung an große tschechische Animationstraditionen, seinem außergewöhnlichen Sounddesign, für das "Botanicula" sogar den "Award for Excellence in Audio" des diesjährigen Independent Games Festivals erhielt – der Soundtrack des tschechischen Duos DVA kann übrigens hier angehört werden – und seinem simplen, aber unglaublich charmanten Point-and-Click-Gameplay. "Botanicula" ist nebenbei die Geheimwaffe zur Überzeugung bisher nicht-games-affiner Zeitgenossen: Dem gewaltigen Charme dieses Ausnahmespiels erliegen garantiert alle Altersgruppen.

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"Day Z" (PC; Mod für "Armed Assault 2: Combined Operations")

Maximaler Kontrast zu „Botanicula", und von wegen Nischenprodukt: Die kostenlose Mod "Day Z" zum zwei Jahre alten Military-Simulator "Armed Assault 2" katapultierte selbigen auf Platz 1 der Steam-Charts, und das, obwohl die Zombie-Apokalypsen-Sandbox die im Indie-Sektor hochgehaltene neue Härte auf die Spitze treibt: Die offene, über 200 Quadratkilometer große Sandbox-Welt ist nicht nur von Zombies, sondern vor allem von realen Mitspielern bevölkert, die einem meist nichts Gutes wollen.

Das Überleben ist nicht nur wegen Nahrungs-, Munitions- und Verbandszeugmangel hart in "Day Z", denn man kann seinen Charakter zwar "speichern", das heißt samt Ausrüstung auch auf andere Server mitnehmen, aber der Tod ist dafür nicht trivial: Das erbarmungslose "Permadeath"-System wirft einem beim Ableben ohne die mühsam zusammengeklaute Ausrüstung wieder ganz zurück an den Start. Was frustrierend klingt, sorgt für nervenzerfetzende Spannung und verdichtet sich dank Emergent Gameplay zu einem der faszinierendsten Spielerlebnisse der letzten Jahre. Die Games-Industrie sollte aufmerksam zusehen: Hier wird gerade ein neuer Multiplayer-Trend geboren.

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"Call of Cthulhu: Wasted Lands" (PC 3,99 Euro, iOS 2,39 Euro)

Dass da noch niemand vorher draufgekommen ist: H.P. Lovecrafts kultiger Cthulhu-Mythos trifft die ebenfalls fanatisch verehrte "XCOM"-Rundenstrategie im Setting des Ersten Weltkriegs. "Wasted Lands" führt seine Spieler altmodisch rundenweise durch das Grauen des Grabenkriegs und lässt seine Soldaten angesichts von Gasangriffen und unaussprechlichen Tentakelwesen schon mal wahnsinnig werden – ein angenehm atmosphärischer Games-Happen mit doppeltem Kult-Appeal. Erst kürzlich von iOS für PC portiert, verspricht "Wasted Lands" kurzweilige Zeitverkürzung bis zum Release von Firaxis' neuem "XCOM".

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"Souvenir" (PC, Mac, kostenloser Download)

Jetzt wird's experimentell: "Souvenir" ist eine verwegene und zugleich melancholische Mischung aus "VVVVV", "Dear Esther" und "Portal", in der Robert Yang, Leveldesigner der vielbeachteten "Radiator"-Mods, eine berührende, persönliche Geschichte über das Aufwachsen erzählt – und das, während wir uns als Spieler in einem dreidimensionalen Hyperraum à la MC Escher orientieren müssen. Trotz des frühen Alpha-Stadiums zeigt „Souvenir", das Teil einer Arbeit an der New Yorker Parsons Design-Universität ist, auf beeindruckende Weise, wie viele Wege im scheinbar so ausgetretenen Medium Games noch unbeschritten sind – und das buchstäblich, denn wo oben und unten ist, ist in "Souvenir" reine Ansichtssache. Ansehen!

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"Proteus" (PC, Mac, Preorder inklusive Betadownload 5,99 Euro)

Zum Abschluss ein Highlight und zugleich Showcase dessen, was Off-Gaming auch bedeuten kann: "Proteus", heuer bei der Berliner A MAZE Indie.Connect-Konferenz zu Recht als "Most AMAZing Game" ausgezeichnet, ist ein ziemlich einzigartiges Erlebnis und erweitert den Spielbegriff. In sympathischem Lo-Fi-Grafikstil erforscht man ohne Zeitdruck, Gegner oder Rätsel eine mysteriöse Insel. Die Hauptrolle in diesem First-Person-Explorer spielt aber der Sound: Jedes grafische Element, vom Baum über die Wolken bis hin zu den Insekten, trägt zur Ambient-Soundscape bei, durch die man sich mit meditativem Staunen fortbewegt.

Wie bei "Dear Esther" oder "Journey" stellen sich manche hier die Frage, ob das denn noch ein Spiel sei – doch warum eigentlich nicht? Die interaktive Soundinstallation für audiophile Entdeckernaturen ist per Pre-Order im soliden Betastadium anspielbar, im Herbst soll "Proteus" dann erscheinen – ein Verkaufsmodell, das ja auch "Mr. Minecraft" Marcus Persson reich gemacht hat.

Aktion

Apropos originelle Bezahlmodelle: Für Kurzentschlossene bietet sich noch bis zum 1. Juni die einzigartige Gelegenheit, im Rahmen der Aktion "Because we may" viele Indie-Spiele für PC, Mac, Android und iOS zu teils drastisch reduzierten Preisen zu kaufen. Zur Erinnerung: Bei Indie-Games geht das Geld ja zum Großteil tatsächlich an die Macher selbst – so viel Indie muss sein. (Rainer Sigl, derStandard.at, 30.5.2012)

Best of Indie-Games ist eine monatliche Koproduktion des GameStandard mit VideoGameTourism.at.