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Sonnenuntergang über der Bucht von San Francisco: Die Brücke als Fotomotiv und Symbol für Aufstieg und Leistungsfähigkeit der Vereinigten Staaten

Foto: Reuters/Robert Galbraith

Oft steht sie in Nebelbänken, die der Pazifik in die San Francisco Bay schiebt. Manchmal schimmert sie in einem umwerfenden Sonnenuntergang. Die Brücke am Goldenen Tor, so oder so zählt sie zu den meistfotografierten Motiven der Erde. Obwohl der Superlativ Vergangenheit ist. Bis 1964 war sie mit 1280 Metern Spannweite zwischen den beiden Pfeilern die längste Hängebrücke der Welt, heute liegt sie nur noch auf dem neunten Platz der globalen Rangliste.

Die Schönste aber ist sie noch immer, "eine Harfe aus Stahl", wie der San Francisco Chronicle schon am Tag ihrer Einweihung schwärmte. Eine amerikanische Ikone, auf einer Stufe mit der New Yorker Freiheitsstatue. Am Sonntag wurde die Golden Gate Bridge 75 Jahre alt.

Eröffnet in der Großen Depression

Ihr Name geht auf John Fremont zurück, einen Ingenieur der US-Armee. Beim Anblick der hügelgesäumten Meerenge zwischen dem Pazifik und der Bucht von San Francisco musste Fremont ans Goldene Horn in Istanbul denken, weshalb er dessen westliches Pendant Goldenes Tor nannte. 1846 war das, gut 70 Jahre bevor Joseph Baermann Strauss die Werbetrommel für den Brückenbau zu rühren begann. Der Ingenieur aus Chicago, ein schmächtiges Energiebündel, war treibende Kraft. Ideen steuerten andere bei.

Zwar präsentierte Strauss einen ersten Entwurf, aber der war so klobig, dass es das Bauwerk nie zu Weltruhm gebracht hätte. Ihre schlichte Art-déco-Eleganz verdankt die Brücke zwei Fachleuten, die im Schatten des geltungssüchtigen Chefingenieurs standen: Leon Moisseiff und vor allem Charles Ellis. Während Strauss ein Denkmal bekam, wurde Ellis bei der Premierenparty nicht einmal erwähnt.

Posthume Würdigung

John Van der Zee, Autor der besten verfügbaren Brückenbiografie (The Gate), hat es sich zum Lebenswerk gemacht, die Dinge geradezurücken, damit die wahren Schöpfer wenigstens posthum auf dem Ruhmessockel stehen. "Die Golden Gate Bridge ist Amerikas Parthenon", sagt Van der Zee, "man sollte schon wissen, wer unseren Parthenon konzipierte." Die unverkennbare Brückenfarbe, "International Orange", übrigens hat Irving Morrow durchgesetzt, ein Architekt, der als Bub oft über die Hügel des Marin County gewandert war und dem etwas Rötliches, Erdiges vorschwebte.

Im Januar 1933, als der erste Spatenstich erfolgte, steckten die USA mitten in der Großen Depression, der schwersten Wirtschaftskrise ihrer Geschichte. Am 27. Mai 1937, als zur Eröffnung zweihunderttausend Menschen bei kühlem, windigem Wetter von Ufer zu Ufer spazierten, war das Krisental noch nicht durchschritten. Umso mehr trug das Wunderding dazu bei, den lädierten amerikanischen Optimismus neu zu beflügeln. Überhaupt, es war die Zeit großer Ingenieurskunst.

Kein New Deal in Sicht

Unter Franklin D. Roosevelt hatte das Land kühne Infrastrukturprojekte in Angriff genommen, um Arbeitslose in Lohn und Brot zu bringen, etwa den Bau massiver Staudämme im Tal des Tennessee River. Heute begnügt es sich angesichts rekordhoher Etatdefizite, die veraltende Substanz per Flickschusterei irgendwie zu erhalten. Kein Wunder, dass die Golden Gate Bridge der wachsenden Schar von Roosevelt-Nostalgikern als starkes Symbol dient.

So alt die Brücke ist, so alt ist auch ihr traurigstes Kapitel. In 75 Jahren sind schätzungsweise 1500 Menschen aus luftiger Höhe in den Tod gesprungen. Seit langem gibt es Vorschläge, das brusthohe Geländer zu erhöhen, damit es sich nicht mehr so mühelos überklettern lässt, oder aber ein Auffangnetz aus Metall zu installieren. Aber zum einen sträuben sich Ästhetiker, die eine Verschan dlung des architektonischen Juwels fürchten, zum anderen tun sich die Stadtväter schwer, in prekärer Kassenlage jene 45 Millionen Dollar auszugeben, die eine Metallmatte kosten würde.

Zum Jubiläum wird die Brücke für Fußgänger gesperrt, was an den Erfahrungen des 50. Geburtstages liegt. Als damals 300.000 Feiernde zugleich übers Golden Gate liefen, drückte sich die Fahrtrasse bedrohlich nach unten durch. "Diesmal machen wir es anders", hieß es deshalb schon vor Wochen, "diesmal ist die Brücke nicht die Bühne, sondern nur die Kulisse." (Frank Hermann, DER STANDARD, 29.5.2012)