Nazmeh Mustafa in ihrer Wohnung in Jenin. Im Hintergrund ein Bild ihres Ehemannes, ein Hamas-Politiker.

Foto: Hackl

Frauen palästinensischer Gefangener am Weg zum Kontrollpunkt bei Jenin, im Westjordanland.

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"Nur ich und meine jüngsten Töchter dürfen meinen Ehemann im Gefängnis besuchen. Mein 21-jähriger Sohn Osama hat seinen Vater in 6 Jahren nur einmal gesehen", sagt die Palästinenserin Nazmeh Mustafa, in ihrer Wohnung in Jenin, im nördlichen Westjordanland. Die Eingangstür zu ihrer Wohnung ist außen voll geklebt mit Bildern der islamistischen Hamas. An den Wänden hängen Poster mit Versen aus dem Koran.

Indizien dafür, warum ihr Mann Wasfe Kabaha seit 2006 in israelischen Gefängnissen sitzt: Nach den palästinensischen Parlamentswahlen 2006, die von der islamistischen Hamas gewonnen wurden, sollte Kabaha Minister für "Gefangenenangelegenheiten" in der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) werden. Doch stattdessen wurde er bald neben vielen anderen Hamas-Politikern selbst zum Gefangenen. Denn der Wahlsieg der Hamas wurde von Israel, der palästinensischen Fatah, sowie von großen Teilen der internationalen Gemeinschaft boykottiert.

Nach drei Jahren regulärer Haft wurde Kabaha 2009 wieder freigelassen, jedoch bald wieder eingesperrt, sagt Nazmeh Mustafa. Seitdem sitzt er in sogenannter "administrativer Haft" ohne konkrete Anklage, basierend auf israelischen Geheimdienstinformationen, die nicht öffentlich gemacht werden.

"Wenn es nur eine Anklage gäbe. Wen ich wenigstens wüsste warum. Warum schicken sie meinen Mann nicht vor Gericht? Aber das passiert nicht. Stattdessen liegen die Gründe für seine Haft in einem geheimen Dokument. Und niemand weiß, was dieses Dokument ist", sagt sie.

Wasfe Kabaha ist einer von mehr als 300 palästinensischen Häftlingen in israelischen Gefängnissen, die zurzeit eine Haft ohne Anklage und konkrete Vorwürfe absitzen. Die Maximaldauer von sechs Monaten kann dabei vom israelischen Militär weiter verlängert werden, wenn dafür sicherheitsbedingt Bedarf besteht. Es ist diese kontroverse Haftpraxis, deren Ende der jüngste Hungerstreik von rund 1.550 palästinensischen Häftlingen gefordert hat. Israel hatte dem Druck des Streiks teilweise nachgegeben und sich in einem Abkommen mit den Häftlingen am 14. Mai zu Verbesserungen bereit erklärt. Neben der administrativen Haft forderten die Palästinenser vor allem mehr Besuchsrecht von Familienmitgliedern und ein Ende der Isolation von Häftlingen in Einzelhaft.

Ein langwieriger Besuch

Der Besuch ihres Ehemannes im Gefängnis ist für Nazmeh Mustafa aus Jenin mittlerweile zur Routine geworden: Zwei Mal pro Monat steht sie um fünf Uhr morgens auf, nimmt ihre beiden Töchter an der Hand, steigt in einen Bus des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (ICRC), und fährt damit bis zum nahegelegenen israelischen Kontrollpunkt. Dort steigt sie wieder aus, stellt sich vor den Eisengittern des Checkpoints mit anderen Palästinensern an, und wird durchsucht. Auf der anderen Seite, in Israel, steigt sie in einen anderen Bus und fährt damit bis zum Gefängnis. Dort spricht sie 45 Minuten lang mit ihrem Mann über einen Hörer und sieht ihn durch die Glasscheibe an. So gegen 6 Uhr Abends ist sie dann wieder zu Hause.

Dabei hat sie noch Glück: Viele Familienmitglieder der rund 4.400 Palästinenser aus dem Westjordanland, die in israelischen Gefängnissen inhaftiert sind, wird der Besuch verweigert. Denn nicht jeder bekommt die dafür nötigen Genehmigungen.

Besuchsverbot 

Die meisten Angehörigen der palästinensischen Häftlinge bekommen nur eine eingeschränkte oder gar keine Besuchserlaubnis, sagt der Anwalt Dani Shenhar von der israelischen Menschenrechtsorganisation Hamoked. So dürfen Männer zwischen 16 und 35 Jahren aus Sicherheitsgründen nur einmal im Jahr zu Besuch ins Gefängnis. Häftlingen, die militanten Widerstandsbewegungen wie der Hamas, der Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP), oder dem Islamischen Dschihad angehören, werde es oft pauschal verweigert, Besuche zu empfangen. "Häftlinge mit politischer Führungsrolle werden meistens von ihren Familien und von ihren Mithäftlingen isoliert", sagt Shenhar. "Der Familienbesuch ist das Erste, was Gefangenen gestrichen wird, wenn sie als problematisch eingestuft werden."

Asma al-Heija, die Frau eines anderen Hamas-Führers aus Jenin, hat ihren Ehemann Jamal seit rund 10 Jahren nicht gesehen. Er war der Sprecher der Hamas im Jeniner Flüchtlingslager und wurde wegen Verwicklung in Selbstmordattentaten auf israelische Zivilisten zu neunfacher Lebenslanger Haft verurteilt. Asma al-Heija selbst war neun Monate in administrativer Haft und auch die meisten ihrer Kinder haben eingesessen. "Habt ihr nicht schon genug von Hamas?", habe sie ein Beamter des israelischen Geheimdienstes einmal gefragt, als er "auf einen Kaffee bei ihnen vorbei geschaut hat". "Ich bin Hamas, meine Kinder sind Hamas, und mein Mann ist Hamas. Wenn es das ist, was sie wissen wollen, dann sage ich es gleich", habe sie geantwortet. Bevor das israelische Militär auch ihren Sohn Hamza abgeholt hat, wurde er mehrmals von palästinensischen Sicherheitskräften verhaftet. Denn auch die Fatah will die Hamas im Westjordanland zum Schweigen bringen. Die Ausstattung israelischer Gefängnisse sei jedoch besser als jene der Palästinenser, meint Hamza. "Dort gibt es keine Klimaanlage."

Forderungen

Im Jahr 2011 haben mehr als 114,000 Palästinenser aus dem Westjordanland über das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (ICIR) Familienmitglieder in Gefängnissen besucht. Das ICRC weist darauf hin, dass Israel mit dem Transfer der Häftlinge aus dem besetzten Palästinensischen Gebiet in die Gefängnisse in Israel gegen die Genfer Konventionen und damit gegen internationales Recht verstößt. Stattdessen, so ICRC, solle Israel die palästinensischen Häftlinge in Gefängnissen im besetzten Gebiet inhaftieren. Doch israelische Regierungsbeamte weisen darauf hin, dass Israel mit dem Bau von Gefängnissen im Westjordanland erst recht internationale Kritik ernten würde.

Für Nazmeh Mustafa und ihre beiden Töchter ist die lange Strecke von Jenin bis zum israelischen Gefängnis jedes Mal eine große Anstrengung. Dennoch sind sie mit einer Besuchserlaubnis für ein ganzes Jahr besser dran als viele andere Familien von Häftlingen.

Am Tag nach dem Abkommen zwischen Israel und den hungerstreikenden Häftlingen vom 14. Mai ist der Bus des ICRC um sechs Uhr abends wieder nach Jenin zurück gekommen. Nazmeh und ihre Töchter haben dabei erschöpft, aber zufrieden ausgesehen. Doch Wasfe Kabaha wäre nicht ein ehemaliger Minister für "Gefangenenangelegenheiten", wenn er seiner Frau nicht auch Forderungen für die Öffentlichkeit mitgegeben hätte. Von einem kleinen Notizbuch, in dem sie mit Bleistift in arabischer Handschrift die Worte ihres Mannes aufgeschrieben hat, hat sie vorgelesen: "Er bedankt sich beim Roten Kreuz für die Arbeit rund um den Familienbesuch. Doch er fordert die Öffentlichkeit auf, alles zu tun, damit Israel die Genfer Konventionen ohne Einschränkungen umsetzt."

Für die Hungerstreikenden Häftlinge empfinde Nazmeh Mustafa großen Respekt. Doch zurzeit ist vor allem die Hoffnung groß, dass das Abkommen zwischen Israel und den Häftlingen tatsächlich Verbesserungen bringen könnte. Dabei besonders auch für die zurückgeblieben Familien. "Wir hoffen, dass dieses Abkommen etwas verbessern wird. Doch wir haben auch Angst, dass am Ende gar nichts passiert", sagt sie. (Andreas Hackl, derStandard.at, 28.5.2012)