Leben ist möglich in der Mondlandschaft vor der Südosttangente, die künftig den ORF beheimatet.

Foto: STANDARD/Fischer

Wien - Es wirkt nicht weit von Marx zu Murx: Diesen Eindruck erweckte  ORF-Chef Wrabetz, als er den Abgabetermin für seine neue Standortberechnung platzen ließ. Es galt St. Marx auf Platz eins hochzurechnen. Freitagabend schickte er seine neue Kalkulation mit erwartetem Ergebnis an seine Stiftungsräte.

Alexander Wrabetz war schon weg, als er seinen Stiftungsräten die neuen Berechnungen schicken ließ, wohin der ORF soll. Der General in Baku, auch ohne mitwackelnde Popos, der ORF rein rechnerisch in St. Marx. Aserbaidschan kann gerade zum Song Contest neue Perspektiven auf Rundfunkbauten eröffnen.

"Ein Witz"

Die Umrechung der Erdberger Brache an der Südosttangente von der teuersten zur günstigen Standortvariante für den ORF brauchte länger als gedacht. Bis Donnerstag verlangte die Arbeitsgruppe des Stiftungsrats die neuen Daten und einen Plan des Generals. Der Boss des größten österreichischen Medienunternehmens mailte kurz vor 23 Uhr, dass er nicht zeitgerecht liefern kann.

"Ein Witz", kommentierte das einer der 35 ORF-Stiftungsräte im Gespräch mit dem Standard. Und äußerte zarte Zweifel, ob Alexander Wrabetz ein auf rund 400 Millionen Euro geschätztes Großprojekt zuzutrauen sei, wenn er nicht einmal in der Kostenberechnung Termine einhalte.

"Leider fügt sich die Verzögerung ins bisherige Bild", sagte der Vorsitzende der Arbeitsgruppe, Wilfried Embacher, der für die Grünen im Stiftungsrat sitzt. Embacher betont allerdings, trotz der unprofessionellen Optik gehe es doch um die inhaltlichen Fragen des Großprojekts.

Wrabetz begründete die Verzögerung, er wolle noch einmal die Berater von Accenture nachrechnen lassen, bevor er seine Räte informiert. Schließlich komme man nun auf ein "substanziell anderes Ergebnis" als bei den bisherigen Kalkulationen. Die Frist zur Vorlage neuer Berechnungen hatte die Arbeitsgruppe Wrabetz schon am 10. April auf 24. Mai gesetzt.

Schon für Ende März hatte die Arbeitsgruppe Berechnungen verlangt, welcher Standort wie viel kostet - und eine Auskunft, welches Quartier der General anpeilt. Die (damals ebenfalls kurz vor Mitternacht, aber am verlangten Tag verschickten) Daten sahen St. Marx am teuersten:

  • St. Marx Ein Neubau in Landstraße, der große Wunsch des roten Wien, sollte inklusive der laufenden Betriebskosten auf 35 Jahre 1,49 Milliarden Euro kosten.
  • Küniglberg Die grundlegende Sanierung des bestehenden ORF-Zentrums auf dem Küniglberg in Wien-Hietzing als alleiniger Standort in der Hauptstadt sollte nach dieser Kalkulation mit 1,37 Milliarden Euro um 120 Millionen Euro günstiger zu Buche schlagen.
  • Dreimal ORF Wien Am billigsten war damals die Beibehaltung aller Standorte (Küniglberg, Funkhaus, Ö3 in Heiligenstadt) mit rund 1,24 Milliarden Euro.

"Mit jedem Kalkulationsschritt rückt St. Marx zum Küniglberg auf", schilderte ein Mensch mit Einblick die Rechenübungen am Freitagnachmittag. Für den hat Wrabetz seinen Stiftungsräten die neue Kalkulation versprochen.

Mehrere gewichtige Räte hatten sich schon auf die kostengünstigste Variante eingeschworen. In die Position musste nun St. Marx.

Personal, Miete, Auslagern

Die rechnerischen Transportmittel: Personal einsparen durch einen gemeinsamen Standort. Ein neues Studiokonzept sieht die Auslagerung dieses Technikteils vor. Der ORF baut nicht selbst, lässt Wien oder städtische oder private Firmen bauen und mietet den Neubau. Diese Variante verlautete schon im Frühjahr von der Wien Holding, die St. Marx bespielt. Zudem sollen Wien oder seine Firmen in die Nachnutzung des Küniglbergs involviert werden. Das schlug die Wiener Stadtentwicklung WSE schon 2010 in ihrem Standortkonzept für den ORF vor, von dem der Standard Anfang 2011 berichtete. (Harald Fidler, DER STANDARD, 26./27./28.5.2012)