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Ein neurotischer Held wird in seiner ledergepolsterten Kapsel von der Realität überholt: Robert Pattinson in David Cronenbergs "Cosmopolis".

Foto: EPA/CANNES FILM FESTIVAL

Das zentrale Motiv der letzten Tage des Filmfestivals von Cannes ist die Stretchlimousine, die auch gut zum bisweilen billigen Glamour des französischen Badeorts passt. Monsieur Oscar, der großartige Held von Holy Motors, nutzt sie als fahrende Garderobe, Eric Packer (Robert Pattinson), dem Plutokraten aus David Cronenbergs Don-DeLillo-Adaption Cosmopolis, wird sie gar zur Metapher seiner abgehobenen Existenz: eine ledergepolsterte Kapsel, in der die Außenwelt auf den Schimmer eines Nachbilds in Fensterscheiben reduziert ist.

DeLillos dichter, diskursgesättigter Roman von 2003 wirkt in dieser Umsetzung verblüffend aktuell. Den von Pattinson wie eine Variation auf Bret Easton Ellis' American Psycho und seinen Twilight-Vampir verkörperten Protagonisten kann man als Prototyp eines höchst spekulativen Wirtschaftssystems sehen, dem hier an einem einzigen Tag das Kartenhaus der Macht zusammenstürzt. In seinem Ledersessel thront er wie ein Prinz im Cockpit eines Ufos, selbst der Ton ist merkbar ausgeblendet. Doch draußen auf den Straßen formiert sich bereits Widerstand - man kommt nicht umhin, darin auch ein Echo der Occupy-Bewegung zu sehen.

Cosmopolis ist Cronenbergs kühnster Film seit längerer Zeit, die pointierte Analyse einer sich im Umbruch befindenden Gegenwart. Irritierend-kühle Bilder verleihen dem Fluss der Erzählung einen Hauch von Science-Fiction. Dem Roman fügt der Film einen sterilen Raum hinzu, in dem sich weniger Ereignisse überstürzen als Dialoge anhäufen.

Wie so oft bei Cronenberg ist es dann aber der Körper, an dem sich das Geschehen konkretisiert: In der hermetischen Limo gedeiht ein Weltbild verquerer Bedürfnisse und Ängste. Schon die sexuellen Eskapaden des Helden haben analog zu Gesprächen über die Endlichkeit des Lebens eine existenzialistische Tonlage. Packer ist ein neurotischer Held, der den Arzt im Auto zur Rektaluntersuchung empfängt. Mit seinem Absturz erhält er seine Kreatürlichkeit zurück. Er ist selbst nur ein Symptom der Krise, nicht mehr.

Wer weiß, vielleicht überzeugt Cronenberg sogar die Jury. Sonntagabend werden die Gewinner bekanntgegeben. Einhellig Begeisterung bei der Kritik fand nur Michael Hanekes meisterhaftes Trauerspiel Amour - die zweite Goldene Palme für ihn könnte allerdings an Jurypräsident Nanni Moretti scheitern, der nicht unbedingt als Fan von Hanekes Filmen gilt. Margarethe Tiesel, Hauptdarstellerin von Ulrich Seidls Paradies: Liebe, gilt als eine der Schauspielpreis-Favoritinnen.

Positive Resonanz bei der internationalen Kritik fanden Cristian Mungius Klosterdrama Beyond the Hills und Carlos Reygadas Post Tenebras Lux. Eine mutigere Entscheidung wäre jene für Leos Carax' Holy Motors, der zwar polarisierte, dafür aber umso energischere Fürsprecher fand. (Dominik Kamalzadeh, DER STANDARD, 26./27./28.5.2012)