Siegessicher posieren Kämpfer der Jabhat an-Nusrah für ...

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... ein Propaganda-Video.

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Anführer unbekannt: Die Sprecher der Gruppe verhüllen ihr Gesicht und geben ihre Identität nicht preis.

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28 Tote, dutzende Verletzte und eine Spur der Verwüstung sind die Bilanz eines der bisher schlimmsten Terroranschläge seit dem Ausbruch der Revolution in Syrien. Das Ziel des zweifachen Bombenanschlags Anfang Februar war ein Gebäude der syrischen Sicherheitskräfte in Aleppo. Das sonst nicht für seine Schnelligkeit bekannte syrische Staatsfernsehen brauchte nicht lange, um die Schuldigen zu benennen: Noch bevor alle Verwundeten versorgt waren, verlautbarten staatliche Sender, dass "ausländische Terroristen" hinter dem Anschlag steckten.

Doch das Attentat vom 10. Februar unterschied sich von vorangegangenen: Blieben die Hintermänner von derartigen Anschlägen bisher im Verborgenen, so bekannte sich dieses Mal erstmals eine Gruppe außerhalb der "Freien Syrischen Armee" (FSA) zu dem Attentat. Mit dem Aleppo-Attentat gab die Jabhat an-Nusra ein erstes kräftiges Lebenszeichen von sich. Und es sollte nicht das letzte Werk der Gruppe sein: Mindestens sechs weitere tödliche Anschläge auf Ziele in Hama und Damaskus gehen auf das Konto der Jihadisten.

Etabliert

Bekannt ist über die Jabhat an-Nusrah wenig. Erstmals vorgestellt hat sich die Gruppe in einem Video, das von der jihadistischen Medienorganisation al-Manarah al-Bayda ("Das weiße Minarett") am 24. Jänner 2012 veröffentlicht wurde. Für Aaron Y. Zelin, Fellow am Washington Institute for Near East Policy, ist die Gruppe in extremistischen Kreisen bereits akzeptiert: "Nur ein halbes Jahr nach ihrer Gründung haben jihadistische Ideologen wie zum Beispiel Abu al-Mundhir al-Shinqiti ihre Unterstützung für Jabhat an-Nusrah verlautbart. Al-Mundhir sowie zahlreiche andere Jihadisten fordern die Muslime auf, die Gruppe finanziell zu unterstützen oder selbst in den Kampf zu ziehen."

Mit der "Freien Syrischen Armee" – der zweiten wichtigen bewaffneten Oppositionsgruppe – hat die Jabhat an-Nusrah laut Zelin, der die Botschaften der Gruppe analysiert hat, hingegen wenige Gemeinsamkeiten: "Die Gruppe verbittet sich jegliches Eingreifen von außen. Die ausländische Einmischung ist für die Jabhat an-Nusrah der Teil des Problems: Der Westen wird von den Jihadisten als Unterstützer der Assads gesehen, der durch seine Verzögerungstaktik versuche, die sunnitischen Syrer zum Niederlegen ihrer Waffen zu bewegen und so Assad die Möglichkeit zu geben, zum vernichtenden Schlag anzusetzen. Den Assad-Clan erkennen sie nicht als richtige Muslime an, da sie alawitischen Glaubens (schiitische Sekte, Anm.) sind. Die Lösung könne nur darin bestehen, dass sunnitische Muslime zu den Waffen greifen, das Regime stürzen und eine reine islamische Gesellschaft errichten."

Unterstützung aus dem Irak

Ist die Ideologie der Gruppe nicht neu, so überrascht die immense Stärke und Professionalität von Jabhat an-Nusrah. Nach nur einem halben Jahr bereits im ganzen Land Terroranschläge auf teilweise gut geschützten Einrichtungen des Sicherheitsapparats zu verüben erfordert neben erfahrenen Terroristen auch ein ausgeklügeltes logistisches Netzwerk. Das Regime von Bashar al-Assad hat dafür eine einfache Erklärung: Die Terroristen werden "vom Ausland gesteuert". Doch zumindest in der Anfangsphase dürfte Jabhat an-Nusrah primär syrisch geprägt gewesen sein, meint Zelin im Gespräch mit derStandard.at. Ein Hinweis darauf sei die Symbolik in manchen Videos: "Auf den schwarzen Flaggen, die die Jihadisten in den Videos veröffentlichten, waren neben dem islamischen Glaubensbekenntnis auch die Namen von syrischen Städten zu sehen."

Logistisch wiederum könnte Jabhat an-Nusrah von den Entwicklungen im Irak nach 2003 profitieren. Nach dem Einmarsch der US-Armee gestattete das syrische Regime Extremisten, ins Nachbarland zu reisen. Neben Nachschub an Jihadisten haben sich auch ausgeklügelte Versorgungslinien zwischen dem Irak und dem Osten Syriens entwickelt, die bis heute bestehen dürften. Einen Einblick in dieses System bot eine Al-Kaida-Datenbank, die US-Streitkräfte in der irakischen Ortschaft Sinjar, nahe der syrischen Grenze, entdeckten. Demnach stammten rund acht Prozent der Al-Kaida-Kämpfer im Irak aus Syrien. Viel mehr arabische Jihadisten nutzten jedoch die Transitrouten durch die syrische Wüste. Bereits im Februar meinte der irakische Innenminister, dass militante Extremisten aus dem Irak nach Syrien reisen.

Lektionen aus dem Irak

Neben Kämpfern, Waffen und Ideologie könnte auch Know-how aus dem Irak nach Syrien gelangt sein. So fällt auf, dass Jabhat an-Nusrah bisher kein einziges ziviles Ziel angegriffen hat – ein deutlicher Unterschied zu den Taktiken des jordanischen Al-Kaida-Terroristen Abu Musab az-Zarqawi, der durch sein brutales Vorgehen gegen die Zivilbevölkerung im Irak viele Sympathien und Unterstützung verlor. "Man sieht diesen Trend unter Jihadisten weltweit, sie haben von der schlechten PR, die Zarqawi erhalten hat, gelernt", meint Zelin, der ein ähnliches Muster auch im Jemen und in Nordafrika erkennt.

Reminiszenzen an Afghanistan

Für die Finanzierung der Jihadisten sind aller Wahrscheinlichkeit nach mächtige Geldgeber im Golfraum verantwortlich. Die kämpferische Rhetorik – vor allem aus Saudi-Arabien – hat in den vergangenen Wochen neue Höhepunkte erreicht. Vor allem die konfessionelle Prägung des Konflikts – die alawitischen Assads regieren ein mehrheitlich sunnitisches Syrien – heizt die Stimmung auf. Die Verwicklung von Erzfeind Iran tut ihr Übriges: Zwischen den Kampfaufrufen führender saudischer Kleriker und Jihadisten sind nur mehr wenige Unterschiede zu erkennen.

Für Zelin birgt das große Gefahren: "Ich halte es durchaus für möglich, dass sich das wie ein Bumerang, ähnlich wie in Afghanistan, entwickelt. Wir haben eine derartig aggressive Rhetorik in der Arabischen Welt seit den 80er Jahren nicht mehr erlebt. Die Gefahr dabei ist, dass junge Männer wegen dieser Aufrufe nach Syrien gehen, um gegen das alawitische Assad-Regime zu kämpfen, dann dort aber 'umprogrammiert' werden und als erfahrene Kämpfer mit Hass auf das eigene Regime zurückkehren."

Dem syrischen Regime kommt der Auftritt der Jihadisten gelegen, da in der Darstellung des Assad-Clans schon bisher primär "ausländische Terroristen" für die Gewalt im eigenen Land verantwortlich waren. Sie liefern eine willkommene Begründung, um weiterhin jegliche oppositionelle Bewegung – gleichgültig ob friedlich oder nicht – zu bekämpfen. (Stefan Binder, derStandard.at, 4.6.2012)