Curt Simon Harlinghausen: "Facebook braucht sehr bald ein klares Konzept, wie in Zukunft die Reichweite und die Nutzer vermarktet werden können, ohne dass die Plattform darunter leidet."

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Harlinghausen und Mark Zuckerberg - vier Stunden später trifft der milliardenschwerde Nerd mit dem US-Präsidenten zusammen. Anderer Schauplatz, gleiches Outfit.

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Selbst wenn Facebook laut seinem Chef Mark Zuckerberg nicht in erster Linie gegründet wurde, um ein Unternehmen zu werden, hat es sich in den acht Jahren seines Bestehens doch zu einer wahren Macht im Internet entwickelt. Mit deutlich mehr als 900 Millionen aktiven Nutzern pro Monat ist es das derzeit größte soziale Netzwerk, das täglich mit zig Millionen Daten gefüttert wird, pro Tag alleine mit 3,2 Milliarden "Gefällt mir"-Klicks und Kommentaren.

Curt Simon Harlinghausen, zertifizierter Facebook-Partner in Deutschland, ist Mark Zuckerberg einige Male begegnet. Im Gespräch mit derStandard.at spricht der gebürtige Österreicher darüber, wie er den milliardenschweren Nerd erlebt hat, wie weit sich die kreativen Köpfe von Facebook an den Rand des Legalen wagen und was sich durch den Börsengang verändert hat.


derStandard.at: Sie kennen Mark Zuckerberg persönlich. Wie haben Sie ihn kennengelernt?

Harlinghausen: Ich würde mich nicht unbedingt als sein bester Kumpel bezeichnen, wie das manchmal dargestellt wird, aber wir kennen uns. Angefangen hat alles vor drei Jahren bei einer sogenannten "Developer Garage" in London. Das sind von Facebook veranstaltete Workshops oder Konferenzen zum gegenseitigen Austausch und Vorstellung neuster Entwicklungen.

derStandard.at: Wie haben Sie Zuckerberg erlebt?

Harlinghausen: Er war entspannt und ruhig. Einerseits bedächtig, andererseits sehr schnell in der Auffassungsgabe. Er hat einen empathischen Bezug zu anderen Menschen, das heißt, er durchschaut sehr schnell, wie andere Leute ticken. In seinen Antworten ist er sehr reserviert und überlegt, keinesfalls aber unhöflich. Ein angenehmer Mensch. Im Jahr 2010 hatte ich mit ein Kollegen einige Termine mit Facebook-Mitarbeitern in Kalifornien. Auf dem Campus des alten Büros ist mir Zuckerberg zufällig über den Weg gelaufen.

derStandard.at: Im selben Jahr kam "The Social Network" in die Kinos. Mark Zuckerberg bezeichnete die Darstellung seiner Person später als "interessant". Wie viel hat der Film mit Zuckerberg Ihrer Einschätzung nach gemein?

Harlinghausen: Es mag sein, dass bestimmte Charakteristika zutreffen und die Story des Films einigermaßen realitätsbezogen ist, aber im Großen und Ganzen ist die Sichtweise etwas überzogen. Zuckerberg hat sehr, sehr klare Visionen, was er mit seiner Plattform wie erreichen will. Er bricht deshalb schon mal aus dem System aus, ohne dabei unsympathisch oder abgehoben zu sein. Er legt Wert auf Harmonie und Struktur. Bis vor kurzem ist er üblicherweise in das Office spaziert und hat sich zwischen seine Mitarbeiter an einen freien Schreibtisch gesetzt, seinen Laptop angesteckt und wie ein gewöhnlicher Angestellter dort gearbeitet. Es gab zwar Besprechungsräume, aber die Arbeitsflächen waren ein Open Space.

derStandard.at: Hat sich durch den Börsengang etwas verändert?

Harlinghausen: Ja. Zum einen, dass Facebook nicht mehr als eigene Plattform verstanden wird, sondern als alltägliches Nutzmittel, als Paralleluniversum zum Internet, und sich zu einer Selbstverständlichkeit wie Google entwickeln wird. Zum anderen braucht Zuckerberg Geld, um mit der Plattform inmitten starken Wettbewerbs vorwärts zu kommen.

derStandard.at: Das amikale Klima unter den Mitarbeitern ist geblieben, sprich, hierarchische Muster sucht man vergebens?

Harlinghausen: Genau. Das Klima ist sehr freundschaftlich, sehr familiär, wie eine große Community. Aber natürlich gibt es auch bei Facebook mittlerweile unterschiedliche Hierachien, die verhältnismäßig flach sind für ein Unternehmen mit Milliardenumsatz.

derStandard.at: Haben Sie selbst Facebook-Aktien gekauft?

Harlinghausen: Leider nicht.

derStandard.at: Den schnellen Dollar konnte man bislang nicht machen. Denken Sie, dass es trotz des Fehlstarts an der Börse mit dem Aktienkurs wieder nach oben gehen wird?

Harlinghausen: Der Kurs wurde zu Beginn sehr optimistisch eingeschätzt. Er wird meiner Meinung nach noch bis auf 24 oder 28 Euro fallen, sich aber in den nächsten Wochen und Monaten wieder in Richtung 30, 32 Euro bewegen. Alles hängt natürlich davon ab, was Facebook in der nächsten Zeit an Produktneuerungen und Marketingmaßnahmen veröffentlicht, um den hohen Marktwert zu rechtfertigen. Das Feld des mobilen Internets hat sich dermaßen schnell und unvorhersehbar entwickelt, dass sich Facebook bislang noch nicht ausreichend darauf einstellen konnte.

derStandard.at: Wie muss der Markt mit der rasanten Dynamik der Handynutzung umgehen?

Harlinghausen: Momentan gibt es keine Werbung auf Smartphones. Auf den Applikationen, die die meisten Smartphones nutzen, und auf den mobilen Webseiten läuft keine Werbung. Facebook hat somit momentan keine Möglichkeit, seine Marketing-Angebote mobil anzubringen. Andererseits nutzen bereits über 50 Prozent Facebook mobil. Wenn Zuckerberg es schafft, künftig die Vermarktung seiner Plattform im mobilen Sektor attraktiv für Unternehmen zu gestalten, hat auch der Aktienkurs Chancen, wieder zu steigen.

derStandard.at: Analysten der Thomson-Reuters-Tochter Starmine sind da weniger optimistisch. Sie sehen die Aktie mittelfristig bei 9,59 Dollar bewertet. Das wäre 72 Prozent unter dem Ausgabepreis. Zu düster?

Harlinghausen: Ganz so pessimistisch bin ich nicht. Facebook braucht sehr bald ein klares Konzept, wie in Zukunft die Reichweite und die Nutzer vermarktet werden können, ohne dass die Plattform darunter leidet.

derStandard.at: Wie realistisch ist das?

Harlinghausen: Sehr realistisch. Facebook verkauft ja nicht nur Werbung, sondern auch Services rund um Ihre Daten. Informationen, die Facebook aus den Massen sammelt und anonymisiert, werden in Zukunft einen Riesen-Hype erleben. In 918 Millionen Menschen, die bei Facebook aktiv sind, steckt ein enormes Potenzial. Das Zünglein an der Waage wird allerdings sein, diese Informationen so zu nutzen bzw. so zu vermarkten, dass sie für Unternehmen und Werbetreibende interessant genug sind, dass Facebook damit Geld verdienen kann. Denn eines steht fest: Facebook wird meiner Meinung nach nie Geld für die Nutzung nehmen.

derStandard.at: In der englischsprachigen Welt führt Facebook aber zurzeit einen Test durch, der sich "Highlight an Important Post" nennt. "Sorge dafür, dass deine Freunde dies sehen" soll zwei Dollar pro Post kosten. Ist das nicht ein sehr aggressiver Versuch, mit Facebook-Nutzern direkt Geld zu verdienen?

Harlinghausen: Schon, aber es ist auch eine Frage der Generationen und Kulturen. Es wird sicher Menschen geben, die nicht wollen, dass mit ihren Aussagen oder Aktivitäten Geld verdient wird, und die nicht mitmachen. Zuckerberg ist das bewusst. Er selbst sagt: "Ich kann nicht hunderte Millionen Freunde haben, wenn ich nicht ein paar Feinde haben werde." Kritik ist in gewisser Weise auch berechtigt - man denke nur an das Handling mit Daten, Stichwort Datenschutz. Ich denke aber, dass durch die starke Durchdringung der Gesellschaft mit Facebook viele auf der Plattform bleiben werden. Der emotional geprägte Nutzen von Facebook ist den Menschen mehr wert als die Angst, dass persönliche Informationen zur Vermarktung genutzt werden.

derStandard.at: Kommen wir noch einmal zurück zu dem Börsengang-Fiasko: Neben technischen Pannen wird die überzogene Bewertung von Facebook kritisiert. Mauscheleien zwischen auserwählten Investoren und den am Börsengang beteiligten Banken haben ein gerichtliches Nachspiel.

Harlinghausen: Zu den Vorwürfen kann ich wenig sagen, weil mir entsprechende Informationen fehlen. Natürlich ist es ungewöhnlich, wie der Börsengang gehypt wurde. Ich denke, dass hier auch politische Einflüsse mitgespielt haben. Das hätte aber auch bei jedem anderen Unternehmen so laufen können und lag bestimmt nicht an Facebook.

derStandard.at: Der Börsenprospekt soll schlampig zusammengestellt und wichtige Informationen verschwiegen worden sein. Was ist dran an der Kritik?

Harlinghausen: Ich habe den Börsenprospekt gelesen und denke, dass es bei Facebook wenig gibt, das nicht bewusst gemacht wird. Das Unternehmen reizt schon mal das eine oder andere Mal - auch rechtliche - Möglichkeiten aus, die an der Grenze dessen sind, was man machen kann oder sollte. Wenn also im Börsenprospekt Informationen nicht umfänglich genug eingebracht wurden, kann das auch daran liegen, dass man ganz bewusst versucht hat, bestimmte Informationen nicht in der Gänze darzustellen, wie es vielleicht hätte getan werden können. Die Berater bei Facebook werden sehr genau ausgewählt, daneben arbeitet ein Team von Entwicklern, die zu den Besten der Welt gehören. Das Finanzielle ist eine separate Struktur.

derStandard.at: Das klingt nach deutlicher Kritik.

Harlinghausen: Auf alle Fälle. Man ist bei Facebook bei der Umsetzung von Projekten immer schon sehr kreativ gewesen und hat sich mehrfach am Rand der Machbarkeit bewegt. Näher möchte ich darauf nicht eingehen.

derStandard.at: Es kursiert das Gerücht, dass Zuckerberg seine Aktien am oberen Ende der Preisspanne von 38 Dollar verkauft hat. Was wissen Sie darüber?

Harlinghausen: Ich weiß nur so viel, dass er eine Menge Aktien verkaufen musste, weil die US-amerikanische Gesetzgebung bei der Steuerfrist recht unbarmherzig ist. Die Kosten für die Emission waren ja nicht unerheblich. Geht der Marktwert von Facebook zurück, muss sich Zuckerberg beeilen, an entsprechendes Geld zu kommen.

derStandard.at: Selbst wenn ihm der Fiskus im Nacken sitzt, betont Zuckerberg unermüdlich, Geld sei ihm nicht wichtig.

Harlinghausen: Das stimmt. Man braucht sich nur anzusehen, wie er bislang gelebt hat. Bis vor kurzem fuhr er seinen Honda und hatte sein einfaches  Haus. Er schätzt seine Privatsphäre, seine Freunde, seine Familie. Zuckerberg ist sicher kein Mensch, der zeigen muss, wie viel Geld er besitzt.

derStandard.at: Wagen wir einen Blick in die Zukunft. Kann es Zuckerberg zu solchem Kultstatus wie Steve Jobs bringen? Der mittlerweile verstorbene Apple-Gründer konnte es sich bis zum Schluss leisten, in Rollkragenpullover und Jeans aufzutreten.

Harlinghausen: Einmal habe ich Zuckerberg vier Stunden vor seinem Termin mit Barack Obama getroffen. Er lief in Jeans und Kapuzenpulli herum, wir plauderten, machten ein Foto. In demselben Casual-Outfit traf er sich dann mit dem US-Präsidenten. Beim nächsten Treffen trug er bereits Anzug und Krawatte. Kultstatus wie Jobs wird er, denke ich, nicht erreichen, dafür ist er zu wenig extravertiert und charismatisch. Während Zuckerberg sehr auf seine Welt, auf seine Plattform fokussiert ist, dachte Jobs wesentlich globaler. Er blickte immer sehr weit in die Zukunft und auf die kommenden gesellschaftlichen und technischen Entwicklungen. Dieses holistischen Visionen wie bei Steve kann ich mir bei Mark Zuckerberg nicht vorstellen. Er wird sich bestimmt verändern, aber immer an seiner Grundidee festhalten.

derStandard.at: Wo könnte Facebook in zehn, 15 Jahren stehen?

Harlinghausen: Zuckerberg ist dermaßen stark mit seiner Plattform verbunden, dass er so lange dabeibleiben wird, solange sie erfolgreich ist und er Visionen hat, die er umsetzen und erreichen kann. Es ist natürlich auch gut möglich, dass in zehn Jahren eine neue revolutionäre Erfindung auf den Markt kommt. Vor vier Jahren konnte sich auch niemand vorstellen, wie viele Menschen heute twittern oder wie viel Geld Youtube heute verdient. Ich nehme an, dass Facebook in den nächsten Jahren weiter einen hohen Stellenwert genießen wird. Danach wird es stark davon abhängen, wie sehr Facebook in der Lage ist, den Anforderungen der Nutzer zu entsprechen bzw. welchen Mehrwert es für den Nutzer bringt, über Facebook vernetzt zu sein. Sich vorzustellen, wohin Facebook im nächsten Jahrzehnt geht, ist aber wie in eine Glaskugel zu schauen. (ch, derStandard.at, 29.5.2012)