Miriam Strauss (53) war Psychiaterin, dann wechselte sie als Salesmanagerin in die Pharmafirmen Pfizer und MSD. Seit 2000 ist sie selbstständige Unternehmensentwicklerin in Wien.

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STANDARD: Für viele Frauen ist Brustkrebs ein besonderes Angstthema. Warum, wo doch die Gefahr, an Herzinfarkt oder Schlaganfall zu sterben, viel größer ist?

Miriam Strauss: Weil wir mit den Augen von vor zwanzig, dreißig Jahren auf Erkrankungen blicken, die heute deutlich besser behandelbar sind. Das hat damit zu tun, dass man meist in höherem Erwachsenenalter an Krebs erkrankt. Bis dahin hat man bei Bekannten, Verwandten oder auch Prominenten von Krebserkrankungen gehört, die nach dem jeweils bestehenden Wissen behandelt wurden - und vor allem von jenen Fällen, die schlecht ausgingen.

STANDARD: Hat die Angst vor Krebs auch mit der Besonderheit der Krankheit zu tun - dass etwas Gefährliches im eigenen Körper wächst?

Strauss: Das ist nichts, was für Krebs spezifisch wäre, denn man kann eine arteriosklerotische Verdickung genauso interpretieren. Nur tut man das nicht, weil Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes bagatellisiert werden.

STANDARD: Trägt zur Furcht vor Brustkrebs bei, dass ein zentraler Körperteil für das weibliche Selbstbild, die Brust, erkrankt?

Strauss: Sicher, denn der Busen steht für sexuelle Attraktivität. Doch Frauen reagieren sehr unterschiedlich auf eine Brustkrebsdiagnose. Manche - vor allem etwas Ältere - meinen, dass sie auch ohne Busen gut leben können. Auch hier muss betont werden, dass es heute bessere brusterhaltende Behandlungen gibt als vor 30 Jahren. Auch, weil Brustkrebs heute weit früher erkannt wird.

STANDARD: Das gilt als Verdienst von Vorsorgeuntersuchungen und Screening (siehe Artikel). Doch Mammografie steht wegen des Anteils an falscher Krebsverdachtsbefunde auch unter Kritik. Mit Recht?

Strauss: Nein, denn Screeningmethoden funktionieren nach dem Prinzip, dass es besser ist, einen Erkrankungsverdacht zu erheben als eine bestehende Erkrankung zu übersehen. Das In-die-Tiefe-Gehen, die genaue Diagnose, kommt erst nach dem Screening. Das muss kommuniziert werden, sodass Frauen es wissen.

STANDARD: Nur bei zehn Prozent der Mammografie-Krebsverdachtsfälle wird in der Folge wirklich Krebs diagnostiziert. Doch viele Frauen glauben, dass so ein Krebsverdacht ziemlich sicher auf Krebs hinausläuft. Woher kommt dieses Missverständnis?

Strauss: Wenn wir das wüssten, hätten wir weniger Probleme. Ich glaube, es liegt an den Missverständnissen zwischen Arzt und Patienten in ein einer durch Patientinnenangst geprägten Situation. Daher müsste an der Kommunikationsfähigkeit der Ärzte gearbeitet werden. Aber stattdessen sind Medizin und Krankenkassensystem an der Apparatur orientiert.

STANDARD: Erklärt das auch Härten, wie Sie sie als Patientin schildern? Etwa, dass Sie um acht zur Biopsie geladen wurden, aber feststellen mussten, dass vor neun Uhr wegen der Morgenbesprechung kein Arzt zur Verfügung steht?

Strauss: Genau. Es wird hervorragend therapiert, aber lieblos behandelt. Viele Brustkrebspatientinnen fühlen sich wegen solch unbedachter Kommunikationspannen nicht gut versorgt. Ich glaube, in Österreich gibt es Zweiklassenmedizin für Krebspatienten nicht auf medizinischer Ebene, sondern bei den Rahmenbedingungen.

STANDARD: Woran liegt das? Warum etwa mussten Sie schon um acht Uhr ins Spital kommen?

Strauss: Wegen der organisatorischen Vorgaben: Die Ambulanz öffnet offiziell schon um acht Uhr. Es müsste die Haltung den Patientinnen gegenüber durchdacht werden, was auf sie alles außer Diagnostik, Operationen und Medikation einwirkt. Und das soziale Umfeld der Krebskranken müsste mitbedacht werden. Es macht einen Unterschied, ob man als Brustkrebspatientin eine hilfsbereite Familie mit zwei Großmüttern hat oder, so wie ich, Alleinerzieherin mit einem Kind und selbstständig tätig ist.

STANDARD: Was waren für Sie nach der Diagnose die dringlichsten Fragen?

Strauss: Wie lange ich bei der Arbeit ausfallen würde, wie ich meinen Alltag während und nach der Operation organisieren sollte. Und wie mein Leben sein würde, nachdem man mir den Busen abgeschnitten haben würde. Die Amputation war nötig, weil ich in beiden Brüsten Karzinomherde hatte und außerdem aus einer wenn auch nicht genetisch, aber doch belasteten Familie stamme: Ich habe schon sechs Brustkrebsfälle unter Verwandten erlebt.

STANDARD: Wie haben Sie die Brustamputation bewältigt?

Strauss: Ich dachte mir: Augen zu und durch. Das hat mit mir als Person, aber auch viel mit dem Wissen über die Krankheit zu tun, das ich als Ärztin habe.

STANDARD: Braucht es in Spitälern und Praxen zusätzliche Mitarbeiter für besseren Umgang mit Patienten?

Strauss: Das ist flächendeckend wahrscheinlich nicht finanzierbar. Aber es könnte jeder Arzt, der eine Patientin mit einen positiven Mammografiebefund behandelt, wenigstens eine aufklärende Broschüre in der Hand haben, die er ihr geben kann. Und es könnte jede Frau nach einer Biopsie auf der Ambulanz einen präzisen Termin bekommen, um den Befund abzuholen - nicht wie ich drei quälende Stunden warten müssen. (Irene Brickner, DER STANDARD, 25.5.2012)