Andreas Reinicke (56) ist deutscher Berufsdiplomat und seit Februar 2012 EU-Sonderbeauftragter für den Nahost-Friedensprozess.

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Israelische Friedensaktivisten im östlichen Teil der Altstadt von Jerusalem. Dieser wurde vor 45 Jahren, im Mai 1967, im Zuge des Sechs-Tage-Krieges von Israel besetzt.

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Der Friedensprozess im Nahen Osten scheint total festgefahren. Hinter den Kulissen gibt es jedoch eine vorsichtige Bewegung, sagt Andreas Reinicke, Sonderbeauftragter der Europäischen Union, zu Gudrun Harrer.

STANDARD: Sehen Sie eine realistische Chance, in diesen Zeiten des Umbruchs in der Region, dass sich im israelisch-palästinensischen Friedensprozess etwas bewegt?

Reinicke: Ich sehe eine Chance, dass sich etwas bewegt, gerade auch weil wir uns in einer neuen Phase befinden. Wir haben aufgrund der Entwicklungen in der arabischen Welt eine neue geostrategische Bewegung, die bringt Risiken, aber auch Chancen. Wir Europäer müssen uns im Klaren sein, dass sich im Süden der EU eine geostrategisch neue Lage entwickelt. Wir wissen noch nicht, wie das aussehen wird. Aber wir können absehen, dass die Lösung des Nahostkonflikts zunehmend im europäischen Interesse ist.

STANDARD: Aber aus israelischer Perspektive ist die arabische Welt mit dem arabischen Frühling einfach nur unsicherer geworden.

Reinicke: Das ist ein Punkt, der vielleicht in der europäischen Diskussion anfangs zu wenig beachtet wurde. Man muss die israelischen Sorgen ernst nehmen. Auf der anderen Seite gehen die Bewegungen in verschiedene Richtungen. Für Israel könnten sich interessante Konstellationen entwickeln. Wir sehen zum Beispiel die Sorgen der Golfstaaten, was Iran betrifft. Und wir sehen die Sorgen innerhalb der moderaten muslimischen Staaten und Regime und Gesellschaften vor radikalen islamischen Strömungen.

STANDARD: Können Sie sich vorstellen, dass Israel für eine echte Allianz mit den arabischen Golfstaaten gegen Iran auf der palästinensischen Seite Konzessionen macht?

Reinicke: Dass es die Möglichkeiten gemeinsamer Interessen mit den arabischen Golfstaaten geben kann, hat schon die arabische Friedensinitiative, die ursprünglich saudisch gewesen ist, vor zehn Jahren gezeigt.

STANDARD: Das hatte aber nichts mit dem Iran zu tun.

Reinicke: Nein, aber sie hat gezeigt, dass Saudi-Arabien bereit ist, auf eine Lösung mit Israel zuzugehen.

STANDARD: Die Palästinenser versuchen gerade wieder, ihren holprigen Versöhnungsprozess zu betreiben - auch gedrängt von den Europäern. Andererseits ist die Hamas in der palästinensisches Führung ein absolutes "No go" für Israel.

Reinicke: Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.

STANDARD: Sie können sich also vorstellen, dass Israel verhandelt, auch wenn die Hamas mit im Boot sitzt?

Reinicke: Die EU hat wiederholt betont, dass sie den palästinensischen Aussöhnungsversuch unterstützt und für ein wichtiges Element hält, um zu einer Zwei-Staaten-Lösung zu gelangen. Präsident Abbas hat in seiner Rede in Kairo im Mai 2011 dargelegt, welche Voraussetzungen eine Regierung unter seiner Verantwortung erfüllen muss. Das bleibt die Messlatte. Es gibt heute wieder vorsichtige Kontakte, hervorgerufen durch einen Briefwechsel (zwischen Israels Premier Netanjahu und Palästinenserpräsident Mahmud Abbas, Anm.). Auch hier war es zuvor eher konfrontativ, aber nun lotet man die Möglichkeiten aus.

STANDARD: Aber ein konkretes Ergebnis hatten die Briefe doch nicht?

Reinicke: Nicht alles, was passiert, steht in der Zeitung.

STANDARD: Heißt das, die Pläne der Palästinenser für weitere unilaterale Schritte - wie der Gang in die Uno-Vollversammlung, um sich eine Anerkennung zu holen - sind vom Tisch?

Reinicke: Nein, es ist alles in einer Frühphase. Aber wir sehen, dass die neue israelische Regierung den Nahostfriedensprozess als einen von vier Schwerpunkten gesetzt hat, das Nahostquartett ist aktiv, und die EU-Außenminister haben am 14. Mai beide Parteien ermutigt, auf diesem Wege weiter zu gehen.

STANDARD: Wie würde die EU in der Generalversammlung stimmen, beziehungsweise gäbe es eine EU-Linie?

Reinicke: Warten wir, bis es so weit ist.

STANDARD: Wird diskutiert, dass die Chance für eine Zweistaatenlösung irgendwann vorbei ist? Gibt es andere Szenarien als einen Palästinenserstaat?

Reinicke: Nein, aber die Ratschlussfolgerungen vom 14. Mai waren vor allem getrieben von der Sorge, dass das Fenster zugeht. Letztendlich müssen das die beiden Parteien dann selber sehen. Aber wir, die Europäische Union, wollten doch diese Sorge sehr deutlich zum Ausdruck bringen. (Gudrun Harrer, DER STANDARD, 24.5.2012)