Mr. Pearl beim Pressegespräch zur Eröffnung des "12festival for fashion & photography" im Pelzhaus Liska.

Foto: derStandard.at/Schersch

STANDARD: Sie sind der weltweit bekannteste männliche Korsettträger ...

Mr. Pearl: Das ist übertrieben. Es gibt einige andere auch ...

STANDARD: Aber wirklich bekannt sind nur Sie.

Mr. Pearl: Das hängt damit zusammen, dass ein Korsett zu tragen ein sehr privates Vergnügen ist, ein Ritual, das entweder mit jemandem zusammen oder alleine praktiziert wird.

STANDARD: Seit wann faszinieren Sie Korsetts?

Mr. Pearl: Als ich drei war, lebte ich bei meiner Großmutter, die Korsetts trug. Sie erlaubte mir, mit den Schnürungen zu spielen. Das hat etwas bei mir ausgelöst. Als junger Mann tanzte ich Ballett, da spielte Disziplin eine wichtige Rolle, der Körper wollte geformt werden. Ähnlich ist es mit Korsetts.

STANDARD: Und irgendwann beschlossen Sie, selbst eines zu tragen?

Mr. Pearl: Das war ein längerer Prozess. 1985 begann ich, mich mit dem Handwerk der Korsetterie zu beschäftigen und wurde auch selbst Korsettmacher. Ich traf auf Menschen, die täglich Korsetts trugen, das hat mich beeindruckt. Ich zog nach New York, wo ich mit 30 auch selbst begann, eines zu tragen. Lange trug ich es auch in der Nacht, mittlerweile schlafe ich mit einem Gürtel.

STANDARD: Waren Korsetts damals schon in Mode?

Mr. Pearl: Mode hat mich nie interessiert, im Gegensatz zu Theater und Tanz. In New York lernte ich den Designer Thierry Mugler kennen, und er gab mir den Auftrag, Korsette zu fertigen. Damit begann meine Karriere in der Mode.

STANDARD: Durch Designer wie Mugler oder Gaultier wurde das Korsett in den 90ern populär.

Mr. Pearl: Die Mode benutzt in einer Saison Korsetts, in der nächsten lässt man es bleiben. Für mich sind Korsetts unabhängig von der Mode von Bedeutung.

STANDARD: Korsetts spielen eine fundamentale Rolle in der Geschichte der Frauenmode ...

Mr. Pearl: ... und der Männermode! So wie ein Haus ein Fundament braucht, so braucht auch die Mode etwas, auf dem sie aufbaut. Das ist das Korsett!

STANDARD: Mit welchen Designern arbeiten Sie derzeit?

Mr. Pearl: Dadurch, dass es kaum mehr Couture gibt, ist leider auch die Zahl der Modemacher, die sich mit dem Korsett beschäftigen, gesunken. Jean-Paul Gaultier ist eine Ausnahme. Das Geschäft ist überschaubarer geworden. Mit Kunden wie Lady Gaga, Dita Von Teese oder Madonna, die ein Stück für einen Auftritt brauchen, gibt es meist keine nachhaltige Zusammenarbeit. Ich bevorzuge es, mit Menschen über viele Jahre zusammenzuarbeiten, erst dann können bestimmte Resultate erzielt werden.

STANDARD: Als zu Anfang des 20. Jahrhunderts Frauen das Korsett ablegten, wurde das als Befreiung gefeiert. Das Korsett gilt seitdem als antimodern und frauenfeindlich. Wie sehen Sie das?

Mr. Pearl: Mit dem Verschwinden des Korsetts ist viel an Eleganz verlorengegangen. Für mich haben Korsetts keinen modernen oder unmodernen Aspekt, vielmehr einen rituellen. Das wird zwar nicht von allen verstanden, aber das ist auch nicht notwendig. Für mich sind Korsetts eine Befreiung.

STANDARD: Eine Befreiung?

Mr. Pearl: Ein Korsett schränkt ein, dadurch kann es aber auch befreiend wirken. Ich fühle mich dadurch gestärkt und beschützt.

STANDARD: Sie wurden allerdings nie dazu gezwungen, ein Korsett zu tragen, im Unterschied zu vielen Frauen in der Vergangenheit.

Mr. Pearl: Früher wuchsen Menschen in Korsetts heran. Wenn sie gut gemacht und gut angepasst waren, dann fühlte man sich in ihnen wohl. Im 19. Jahrhundert gab es eine starke medizinische Bewegung, die viele Krankheiten und Missbildungen mit dem Korsett in Verbindungen brachte. Ich misstraue dem, ich kenne Menschen, die ihr ganzes Leben ein Korsett getragen haben und gesund sind.

STANDARD: Wie ist das bei Ihnen? Sie müssen doch sicher auf Ihre Ernährung achten?

Mr. Pearl: Ich bin Vegetarier und trinke kein Bier, aber ich esse dreimal am Tag und fühle mich kerngesund. Das haben mir auch Ärzte bestätigt.

STANDARD: Geschichtlich wurden Korsetts auch von Männer getragen, trotzdem gelten sie als Frauensache. Ist das ungerecht?

Mr. Pearl: Prinzipiell sind Korsetts unisex, und es gibt keinen Grund, warum sich nicht auch Männer daran erfreuen sollten.

STANDARD: Kaum jemand trägt heute noch ein Korsett, dafür modellieren viele Menschen ihre Körper mittels plastischer Chirurgie. Ist sie die Nachfolgerin der Korsetterie?

Mr. Pearl: Für mich ist es die plastische Chirurgie, die antimodern und frauenfeindlich ist. Die Korsetterie benötigt kein Messer, sie kann nicht schiefgehen wie eine Operation. Sie ist eine viel purere, ungefährlichere Art, den eigenen Körper zu formen. Ich kann nicht verstehen, warum Menschen sich vor Korsetts fürchten, aber eine Fettabsaugung machen lassen.

STANDARD: Ein möglichst geringer Taillenumfang spielt bei vielen Korsettträgern eine große Rolle. Welchen haben sie?

Mr. Pearl: Er ist nicht mehr so gering, wie er noch vor ein paar Jahren war. Den reduziertesten Taillenumfang erreichte mit 33 Zentimetern eine Engländerin, sie starb mit 83.

STANDARD: Geht es Ihnen auch darum, immer schmaler und schmaler zu werden?

Mr. Pearl: Es gab eine Zeit, in der es mir darum ging. Meine Taille maß damals 43 Zentimeter. Durch die viele Arbeit, die mangelnde Disziplin und das fortschreitende Alter konnte ich dieses Maß nicht halten.

STANDARD: Elisabeth, Kaiserin von Österreich, war auch für ihre äußerst schlanke Taille bekannt. Ein Vorbild?

Mr. Pearl: Sie ist eines der besten Beispiele, was man durch Disziplin erreichen kann. Sie schaffte es, ihre Figur, ihre Schönheit ihr ganzes Leben zu halten, das ist eine außerordentliche Leistung. Sisi war ihrer Zeit voraus, die Beschäftigung mit ihrem Körper war für sie ein Ritual. Ich kenne kein größeres Vorbild.

STANDARD: Gibt es ein Ziel, dass Sie in Bezug auf Ihre Taille erreichen möchten?

Mr. Pearl: Es gibt die sogenannte "Wiener Taille". Die Taille erscheint von der Seite oval, nicht von vorne. Man braucht dazu Metallplatten, die seitlich in das Korsett eingeführt werden. Ich bin gerade dabei, ihre Fertigung mit einem Künstler zu diskutieren, ihre Realisierung wird aber wohl noch etwas dauern. (Stephan Hilpold, Rondo, DER STANDARD, 25.5.2012)