Ein Paar aus einer der ehemaligen Sowjetrepubliken wird vom zuständigen Beamten einvernommen, erst der Mann, dann die Frau. Der Beamte hat ein großes Glas Bier neben sich stehen, daraus nimmt er zwischendurch immer wieder einen Schluck. An der Wand ein Plakat mit einem nackten Hintern, darunter die Aufschrift: Lass dich nicht verarschen. "Humor" dieser Art muss offenbar sein.

Das Paar ist seit zehn Jahren in Österreich. Der Mann war in seiner Heimat aus politischen Gründen im Gefängnis, er ist ein stiller Intellektueller, in der Haft hat er ein Auge verloren. Das untätige Warten hat ihm zugesetzt. Die Frau, technische Zeichnerin von Beruf, ist lebhaft und optimistisch. Die beiden haben zwei Kinder, die hier geboren sind. Beide haben in der Schule lauter Einser, die Tochter, eine begabte Zehnjährige, ist Kandidatin fürs Gymnasium. Das Interview verläuft korrekt, nach den Richtlinien des österreichischen Fremdenrechts. Das Resultat: keine Abschiebung, diese ist neuerdings im Hinblick auf die Kinder, die das Geburtsland ihrer Eltern nie gesehen haben, unzulässig. Befristeter Aufenthalt, immerhin. Aber die Unsicherheit bleibt. Und die verlorenen zehn Jahre gibt den Leuten niemand zurück.

Über vierzehntausend Menschen leben in Österreich in der Warteschleife. Sie dürfen nicht arbeiten. Wenn sie es doch tun, meist unter ausbeuterischen Bedingungen, schwebt über ihnen das Damoklesschwert des Aufenthaltsverbots. Sie leben von der Grundsicherung, das sind 290 Euro im Monat "für Lebensunterhalt und Mietkosten". Sie warten und warten. Zuerst auf ein Asylverfahren. Dann auf die Erledigung dieses Verfahrens. Zehn Jahre und mehr sind keine Seltenheit. Es sind die produktivsten Jahre ihres Lebens. Eine Asylberaterin: Dieses Warten macht die Leute psychisch kaputt. Jugendliche dürfen keine Lehre machen. Ein Jurist: Das ist eine Einladung, in die Kriminalität abzurutschen.

Viele Asylwerber sind qualifizierte Fachkräfte. Manche sind hochbegabt. Alle haben, um es überhaupt bis nach Österreich zu schaffen, Hindernisse überwunden, Mut, Energie, Initiative und Dynamik bewiesen. Alle sind bereit, bis zur Erschöpfung zu schuften und Opfer zu bringen, um ihren Kindern eine Zukunft zu geben. Aber niemand fragt: Was können diese Leute für Österreich leisten ? Wir wollen nur eines: sie wieder loswerden. Und wenn das nicht gleich geht, sie einfach dunsten lassen, in der Hoffnung, dass sie irgendwann die Hoffnung verlieren und von selber gehen.

In Österreich fehlen 30.000 Fachkräfte, hat Wirtschaftskammerpräsident Christoph Leitl vor kurzem gesagt. Motivierte Lehrlinge, sagen Wirtschaftstreibende immer wieder, sind Mangelware. Wo die guten Leute hernehmen, die wir so dringend brauchen? Aber sie sind längst da, Herr Leitl, möchte man antworten. Sie sitzen untätig in überfüllten Quartieren herum und gehen langsam vor die Hunde. Man müsste sie nur endlich arbeiten lassen. (Barbara Coudenhove-Kalergi, DER STANDARD, 24.5.2012)