Wien - Er ist eine noble, zurückhaltende Erscheinung, und so klingt es auch im Großen und Ganzen, wenn Murray Perahia Klavier spielt - mehr Märchenstunde als Konzertarena. Breit und erzählerisch legt er seine Stücke in der Regel an, Dramatik ereignet sich eher punktuell oder im Hintergrund.

Dazu passte das Programm, mit dem der New Yorker im Wiener Konzerthaus gastierte: Gemütlich ließ er Bachs 5. Französische Suite, ohnehin die sanfteste der sechs, dahinfließen, in sich ruhend und ohne expressive Schärfung den Kopfsatz von Beethovens cis-Moll-Sonate (Mondschein) schimmern. Und auch das nervöse Finale lief in ebenso geordneten Bahnen ab wie Schuberts "kleine" A-Dur-Sonate (D 664).

Wie kaum jemand anderer verdient Perahia das klavieristische k.-u.-k.-u. -k.-Prädikat "kantabel, klangschön, kultiviert". Abgesehen von manchen rohen Akzenten, versteht er es vollendet, die jeweiligen Hauptstimmen hervorzuheben und die Begleitung nebenher lebhaft schwirren zu lassen. Wichtige Punkte markiert er vor allem durch Verzögerungen, nicht durch klangliche Abstufungen. Das macht sein Spiel insgesamt homogen, aber wenig abwechslungsreich. Etwas mehr preschte er allerdings bei Schumanns Faschingsschwank aus Wien und vor allem beim h-Moll-Scherzo - Abschluss einer kleinen Chopin-Gruppe und des offiziellen Programms - vor: Vor allem hier zeigte er virtuose Verve und erlaubte sich technische Risiken.

Tatsächlich opferte er dem Schwung bei Schumann (besonders im Intermezzo und Finale) und Chopin (vor allem zu Beginn) stellenweise die Perfektion. Hier erreichte sein Spiel doch noch eine Form von Dringlichkeit, die er ansonsten weit weniger bot. Ganz entspannt und freigespielt wirkte er mit Schubert, Brahms und Chopin aber erst bei den drei freigiebig gewährten Zugaben. (Daniel Ender, DER STANDARD, 24.5.2012)