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Die Frage ist, inwiefern Managementprozesse die Realität abbilden.

Foto: ap/bela szandelszky

Wer schon mal in einem Spital war, kann über das Treiben dort berichten. Ob diese Erlebnisse gut oder schlecht sind, hängt von den individuellen Erfahrungen ab und nicht zuletzt davon, ob man das Krankenhaus wieder gesund verlassen hat - Qualität ist durchaus eine Wahrnehmungssache.

Dennoch gibt es in Österreich Bestrebungen, die Qualität im Gesundheitssystem und speziell in Krankenhäusern zu vereinheitlichen und im Optimalfall zu verbessern. Oft stehen dabei im Hintergrund komplexe Managementsysteme und Qualitätsstandards. Für Kritiker versteckt sich dahinter allerdings ein aufwendiger Geschäftsbereich, dessen technischer Aufwand den praktischen Nutzen für den Patienten übersteigt.

Zertifizierung in der Praxis

Brigitte Erlacher ist bei der Vinzenz-Gruppe, einem der größten Träger für private Krankenhäuser, für das Qualitätsmanagement zuständig. Neben ihrem Job als Internistin ist sie die zentrale Stelle für die Koordination zwischen den sieben Spitälern der Gruppe. Die Vinzenz-Gruppe verwendet für ihre Krankenhäuser das sogenannte pCC-KTQ System aus Deutschland. "Es geht darum, dass man die Krankenhäuser auf die gleiche Qualitätsebene bringt", sagt Erlacher.

Das bedeutet, dass man einen Katalog der Prozesse in einem Krankenhaus definiert. Dieser umfasst beispielsweise OP-Management, über das Aufnahmesystem, bis hin zu einem geordneten Wegeleitsystem. "Natürlich ist das auch eine Kostenfrage und manches darin ist aufwendig. Aber im in dem Katalog sind 90 Prozent des Kerngeschäftes abgebildet. Die Frage ist, wie man es angeht und umsetzt und nicht nur gute Definitionen in der Schublade liegen hat. Man muss die Umsetzung auch ernst nehmen", sagt Erlacher.

Die Zertifizierung wird laut Erlacher einmal im Jahr von Kontrolleuren überprüft, diese müssen aber alle auch aus dem Alltagsgeschäft kommen. Diese gehen auf die Stationen und kontrollieren, ob auch das umgesetzt ist, was geschrieben steht.

Bei der Qualitätsarbeit in der Vinzenz-Gruppe geht es aber um viel mehr als die bloße Einführung eines Managementsystems. Beispielsweise werden einmal in Jahr in Koordination mit den Beauftragten aller Spitäler, Projekte besprochen, die für die gesamte Gruppe wichtig sind, beispielsweise Medikamentensicherheit oder Turnus-Ärzte. "Das sind sehr tiefe medizinische Themen, die aber allesamt das Kerngeschäft betreffen", sagt Erlacher.

Aufwand ohne Patientennutzen

Aber großer Verwaltungsaufwand ist es, der Kritiker auf die Barrikaden gehen lässt. Vehementer Gegner dieser Systeme ist Kaspar Sertl, medizinische Verantwortlicher des SMZ Floridsdorf. Für ihn sind die Qualitätsmanagementsysteme ein einziger bürokratischer Aufwand: „Das Gegenteil von gut ist gut gemeint. Ich war selbst ein irrer Vertreter dieser Dinge und habe sogar mal einen Preis mit meinem Krankenhaus gewonnen. Für den geniere ich mich jetzt, weil die Qualität des Preises so schlecht ist." Die Maßnahmen, seien es Organisationsberater oder zum Beispiel Checklisten, würden viel zu unkritisch übernommen.

Am häufigsten werden die Systeme ISO (International Organization for Standardization) und EFQM (European Foundation for Quality Management) verwendet. Mit diesen Zertifizierungen implementieren und dokumentieren Krankenanstalten ihre Fortschritte und Maßnahmen. Dabei wird definiert, welche Standards und Prozesse im jeweiligen Krankenhaus zur Anwendung kommen. EFQM ist beispielsweise ein Ansatz, bei dem es um Kunden, Patienten, Mitarbeiter, Steuerung, Führung und auch Ergebnisse geht. 

Vor allem die Kosten für ISO oder EFQM seien enorm: "Im Krankenhaus Klagenfurt wurde beispielsweise eine ISO-Zertifizierung implementiert. Alleine für die Computer waren die Kosten bei 2,5 Millionen Euro." Die Idee der Qualitätssicherung sei zwar gut, scheitere aber in der Durchführung: „Es ist eine gute Idee da, aber das System ist insgesamt zu komplex. Es werden sehr viele Dokumentationen eingeführt, die uns in der Arbeit unglaublich behindern", sagt Sertl. Viel zu sehr würden dabei rein ökonomische Überlegungen im Vordergrund stehen: "Es wird völlig missachtet, dass Medizin ein sozialer Beruf ist."

Das zusätzliche Management bringe auch einen hohen Technikaufwand mit sich. "Eine Schwester hat vor langer Zeit zu mir gesagt: 'Früher haben wir mit den Patienten Karten gespielt, heute sitzen wir am Computer.' Die EDV führt das Personal von den Patienten weg, weil der Zeitaufwand zu hoch ist. Das heißt, wir können uns mit den Patienten gar nicht mehr so stark beschäftigen", sagt Sertl.

Berichterstattung ist Pflicht

Für die Qualitätsvorschriften ist in Österreich das Bundesinstitut für Qualität im Gesundheitswesen (BIQG) zuständig, eine Einrichtung des Gesundheitsministeriums. Um die Einhaltung zu kontrollieren, werden Spitäler aufgefordert, im Internet an einer sehr ausführlichen Befragung teilzunehmen. Aktuell wurden 126 Spitäler zum Jahr 2010 befragt. Obwohl die Gestaltung der Qualitätsmodelle mehr oder weniger frei wählbar ist, verwenden bereits 65 Prozent ein standardisiertes Managementsystem, 22 weitere planen eines bis 2015 einzuführen. "Die Systeme unterscheiden sich zwar, aber nicht sehr stark", sagt Eva Kernstock, Geschäftsbereichsleiterin beim BIQG.

"Es ist sehr unterschiedlich, wie Qualitätssicherung definiert wird. Seit Beginn der 90er-Jahre haben manche Krankenhäuser begonnen, ihre eigenen Systeme zu entwickeln. Solange grundsätzliche Anforderungen drinnen sind, ist das in Ordnung. Große Krankenhäuser, aber auch kleine private, wollen entweder ein Managementsystem oder externe Beratung einführen, oder sie passen ein bestehendes Modell an ihre Bedürfnisse an", sagt Eva Kernstock.

Systeme ändern nichts an den Strukturen

Ingrid Kubyk hat jahrelang Krankenhäuser bezüglich Prozessen und Abläufen beraten und weiß, wie es die Arbeit im Inneren der Spitalsorganisation aussieht. Ihrer Erfahrung nach liegen die Probleme in den Strukturen innerhalb der Krankenhäuser und können nicht durch komplexe Managementsysteme gelöst werden. "Das Grundproblem in Österreich ist, dass es nur eine einzige Outputmessung gibt und das ist die Steigerung der Lebenserwartung. Und die steigt deswegen, weil man die alten Leute nicht sterben lässt", sagt Kubyk.

Die Lösung wäre, sich die Arbeitsabläufe genauer anzusehen: "Wenn man sich auf gewisse Ablaufdiagramme einigen könnte, könnte man besser Kosten sparen. Es wird sonst herumtelefoniert und überall nach Erlaubnis gefragt. Bestimmte Einstiegsanordnungen sollte es geben und dann müsste es von selbst ablaufen. Soweit gehen diese Qualitätsstandards aber nicht. Und das alles muss auch noch dokumentiert werden - viel zu viel Aufwand, der Zeit und Geld kostet", sagt Kubyk.

Oft scheitere es schlicht an der Kommunikation zwischen Arzt und Patient: "In Wahrheit sollte man solange mit den Menschen reden, bis man eine qualifizierte Entscheidung treffen kann. Risiken und Positives sollte man gemeinsam abwägen. Das passiert aber nicht. Viele wollen an den alten Strukturen festhalten."

Kontrolle durch Patientenbefragung

Entschließt sich ein Krankenhaus, ein Qualitätsmanagementsystem einzuführen, werden die Kosten dafür vom Land getragen. Grundsätzlich sind sie damit über Steuern und Sozialversicherungsbeiträge finanziert. Genaue Aufzeichnungen für die einzelnen Einrichtungen sind in der Befragung des BIQG aber nicht enthalten. Dass sich die Investitionen dennoch rechnen, steht für Eva Kernstock außer Frage: "Es gibt handfeste Nachweise und Studien, dass die Managementsysteme à la longue Kosten sparen, auch wenn es ein bisschen dauert."

Zwar müssen die Spitäler Maßnahmen zur Qualitätssicherung durchführen, aber nicht zwingend ein standardisiertes System einführen. Derzeit wird überlegt, ob zumindest die Teilnahme an der Befragung für alle Spitäler verpflichtend wird, derzeit ist das nur in Kärnten und Tirol der Fall. Damit sich aber kein Krankenhaus besser darstellen kann, als es eigentlich ist, wird wiederum kontrolliert. "Es reicht eben nicht, nur zu fragen, ob ein Qualitätsmanagementsystem eingerichtet ist. Deswegen werden auf der anderen Seite die Patienten befragt, die das aus ihrer Sicht beschreiben können, damit man auch die von Krankenhaus dokumentierten Ergebnisse sieht", sagt Kernstock.

Die Prozesse, die durch ein Managementsystem geregelt sind, laufen dennoch im Hintergrund ab. Tatsächlich beurteilen werden die Qualität eines Spitals weiterhin nur die Patienten können. (Clemens Triltsch, derStandard.at, 24.5.2012)