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Papst Benedikt zementiert ein Dogma ein, ein anderes relativiert er so sehr, dass moderne Theologie möglich wird.

Foto: dapd/Thomas Lohnes/derStandard.at

Wenn in Rom ein liturgischer Kalender gleich ein halbes Jahr Verspätung hat und viele angeführte Feste schon verstrichen sind, dann ist etwas faul. So geschehen beim soeben erschienenen Direktorium für den sogenannten "außerordentlichen Ritus."

Mit der vorkonziliaren Messe bedient der Vatikan bekanntlich vor allem traditionalistische Kreise. Und tatsächlich: "Neue Heilige, die nach dem Konzil zur Ehre der Altäre erhoben worden - wie Maximilian Kolbe, Edith Stein oder Pater Pio - sind im Kalender nicht aufgeführt." (Kathpress 9.5.2012).

Das ist natürlich ein Zugeständnis an die Piusbrüder, an deren Rückholung Benedikt emsig arbeitet. Ist es dieser Gruppierung - zu ihren Bischöfen zählt auch ein Holocaust-Leugner - nicht zumutbar, dass sie die Märtyrer des Naziregimes verehren?

Dass dieser Kalender so lange dauerte, lässt darauf schließen, dass in Rom zu diesem Thema ordentlich gestritten wurde (immerhin ein menschlicher Zug!).

Besonders auffällig: Dieses Kalendarium entspricht nicht den römischen Vorgaben für den alten Ritus! Die Aufnahme der neuen Heiligen war durch die Glaubenskongregation im Vorjahr ausdrücklich angeordnet worden. So sehr die Sache inhaltlich irritierend ist, so sehr hat sie formal auch etwas Erfreuliches. Es ist nämlich ein Stück Ungehorsam innerhalb der römischen Kurie. Oder ein Beleg für kurzfristige Wendigkeit des Papstes. Das lässt hoffen, dass auch in anderen Fragen nicht alles in Stein gemeißelt ist.

Wendigkeit ist gerade für den amtierenden Papst ein ausgeprägtes Merkmal.

Zu Christi Himmelfahrt vor 35 Jahren publizierte er, gerade erst zum Münchner Erzbischof ernannt, das Buch "Die Tochter Zion". Es enthält Vorträge, die er fünf Jahre zuvor im oberösterreichischen Puchberg gehalten hatte.

Man wird mit der Diagnose "Ohne Puchberg kein Papst Benedikt!" nicht fehl gehen. Denn: Im frühen Werk des jungen Ratzinger findet sich nämlich Vieles, weswegen die strengen Glaubenswächter im Vatikan zu verhindern gewusst hätten, ihn jemals Bischof, in der Folge Kardinal und sogar Papst werden zu lassen.

In den Puchberger Vorträgen zur Rolle Mariens in der Kirche hat er aber eine These zurückgenommen, die karrierebehindernd gewesen wäre.

In seiner Kurskorrektur formuliert er, "die jungfräuliche Geburt ist der notwendige Ursprung dessen, der der Sohn ist, und der darin auch erst der messianischen Hoffnung einen bleibenden und über Israel hinaus weisenden Sinn gibt." (S.50)

Die Bedeutung dieses nicht ganz geraden Satzes liegt an der Fußnote, die ihm beigefügt ist: "Ich möchte damit die Grenze meiner oft zitierten Äußerung in: Einführung in das Christentum (München 1968), 225 deutlich herausstellen, wonach Jesus Gottes Sohnschaft das Herkommen aus einer normalen Ehe an sich nicht ausschließen würde."

Ein perfektionistischer Universitätsprofessor bringt einen Widerruf eben nur in Kleingedrucktem übers Herz. Und nimmt eine Aussage nicht zurück, sondern setzt ihr Grenzen.

Um es daher etwas verständlicher zusammenzufassen: 1968 schrieb Ratzinger Sätze wie diese: „Die Gottessohnschaft beruht nach dem kirchlichen Glauben nicht darauf, dass Jesus keinen menschlichen Vater hatte; die Lehre vom Gottsein Jesu würde nicht angetastet, wenn Jesus aus einer ganz normalen Ehe hervorgegangen wäre. Denn die Gottessohnschaft, von der der Glaube spricht, ist kein biologisches, sondern ein ontologisches Faktum;..."

Mit seinen Puchberger Vorträgen, beteuert er die Jungfrauengeburt als reale Tatsache der Geschichte. Wie Unwohl ihm dabei gewesen sein mag, kann man daran erkennen, dass er diese Aussage auch nur indirekt formuliert. Im Sinne von: Wer die reale Tatsache leugnet, geht in die Sackgasse. (vgl. S 51)

Seinen Kniefall hat Ratzinger möglicherweise nie ganz verwunden. Noch im Jahr 2000, längst Chef der Glaubenskongregation, gab er sein Frühwerk neu heraus, ohne die brisanten Passagen mit einer korrigierenden Fußnote zu versehen. (Allerdings findet sich das Zitat jetzt - aufgrund eines längeren Vorwortes - erst auf S 258).

Zuvor rüffelte er Theologen, die sich auf diese Aussagen berufen wollten, weil er diese im vergriffenen Werk „Die Tochter Zion" ja "klargestellt" habe. Das sind vielleicht ein paar Wendungen zu viel.

Theologisch spannend bleibt aber eines: Im eher unscheinbaren Büchlein "die Tochter Zion", das Ratzinger bereits als Bischof, und somit Vertreter des ordentlichen Lehramtes veröffentlichte, verteidigte er zwar wortreich den Jungfräulichkeitsglauben (er nennt es das "Marianische Urdogma: Mutter und Jungfrau"), brachte aber zum Dogma der leiblichen Aufnahme Mariens in den Himmel, unerwartete relativierende Interpretationen an. Bei diesen Dogmen geht es, so Ratzinger, plötzlich nicht mehr um ein historisches Faktum, sondern um einen "Akt der Verehrung." (S 73)

Damit birgt Puchberg Sprengkraft für die Zukunft (Stützenhofen fast nix dagegen). Denn während Ratzinger ein Dogma einzementierte, hat er ein anders so sehr relativiert, dass er damit einen wichtigen Präzedenzfall für künftige Päpste setzte: Dogmen als Akt der Verehrung zu sehen und nicht als wortwörtlich zu verstehende Definitionen eines Sachverhaltes - da ergeben sich ganz plötzlich neue Perspektiven.

Benedikt hat damit das Potenzial zum Wegbereiter einer modernen Theologie zu werden, die er während seiner Zeit als Glaubenspräfekt und des bisherigen Pontifikates nie wollte - oder doch?

Im Übrigen bin ich der Meinung, dass die Verantwortung der Päpste und des Vatikans am internationalen Missbrauchsskandal geklärt werden muss. Der derzeitige Papst hat bisher lediglich zur Schuld einzelner Priester und Bischöfe Stellung genommen. Zu den Vorgängen innerhalb der vatikanischen Mauern fand er kein Wort. Benedikts beharrliches Schweigen dazu macht ihn als Papst unglaubwürdig. (Wolfgang Bergmann, derStandard.at, 21.5.2012)