Selbst ein Könner wie Gregor Schlierenzauer muss zuweilen das Schweben üben.

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Standard: Haben Sie schon die Brüder Klitschko kennengelernt? Die bereiten sich ja beim Stanglwirt in Going auf ihre Boxkämpfe vor.

Schlierenzauer: Ja, einmal bin ich beim Frühstück neben einem der beiden gesessen. Ein Riese, da muss man aufpassen, dass er einen nicht gleich mitfrühstückt.

Standard: Sie hatten in der vergangenen Saison eine Phase, in der Sie vom Business aufgefressen zu werden drohten, in der Sie sich etwas zurückgezogen haben. Waren Sie burnoutgefährdet?

Schlierenzauer: Nein, Burnout ist so ein Modewort. In der Zeit ist eben alles zusammengekommen. Ich habe zum ersten Mal die Vierschanzentournee gewonnen, es gab einen extremen Hype. Dann kam der Kulm. Wegen des Wetters waren zwei Skifliegen an einem Tag, das war sehr kräfteraubend. Und dann gab es die Reißverschlussaktion, wo du dir als Sportler denkst, ob du überhaupt springen sollst, denn schließlich geht es ja auch um dein Leben. Du weißt ja nicht, wie sich das auf einer Skiflugschanze auswirkt, wenn du hinaushüpfst und der Anzug aufgeht. Das hat alles cool und lässig ausgesehen, aber so lässig war das nicht. Das war der Tag X am Kulm mit der Disqualifikation. Dann war es eben zu viel, war der Grat überschritten.

Standard: Wie schalten Sie ab, nach der Saison, zwischendurch?

Schlierenzauer: Abschalten kann ich in der Familie. Ich genieße es, in den eigenen vier Wänden zu sein, der normale Gregor zu sein, ohne Interviews, ohne öffentliche Auftritte, ohne dass ich beobachtet werde und einer Vorbildwirkung gerecht werden muss.

Standard: Ist das überhaupt noch möglich, der normale Gregor sein?

Schlierenzauer: Daheim schon, ansonsten ist es mittlerweile recht schwierig. Man ist halt immer unter Beobachtung, es kennt dich jeder, wenn du einkaufen gehst, wenn du mit Freunden ausgehst. Ich habe das sehr früh lernen müssen. Das war nicht immer leicht. Aber es gehört dazu, und es ist ja auch irgendwie ein Privileg, es so weit zu schaffen.

Standard: Haben Sie nie das Bedürfnis, die Sau rauszulassen? Oder haben Sie ein glückliches Naturell und brauchen das nicht?

Schlierenzauer: Ich bin grundsätzlich vom Typ her nicht ganz der Wilde, aber die Sau kann ich schon einmal rauslassen, so ist es nicht. Ich war in dem Alter, in dem viele etwas probieren, schon eine öffentliche Person. Dadurch war ich immer human am Weg. Wenn ich mir große Vorbilder anschaue, einen Roger Federer oder andere große Typen wie Lionel Messi: Du wirst von solchen Topathleten und Topstars nie etwas hören, die sind skandalfrei. Die haben so etwas auch nicht notwendig.

Standard: Sind gar keine Ausrutscher aktenkundig?

Schlierenzauer: Wenn ich unter Freunden daheim einen lässigen Griller mache, kommt es auch vor, dass ich ein Bier zu viel trinke, aber das ist ja menschlich. Ich bin aber nicht der, der in der Disco, mit dem Leiberl offen, bis vier in der Früh auf der Bar tanzt. Das wäre vielleicht auch menschlich, hat aber im Spitzensport nichts verloren. Das kann man ja auch später einmal machen.

Standard: Misstrauen Sie den Medien, den Journalisten?

Schlierenzauer: Ich war nie ein Gegner von Journalisten, aber es gibt auch eine Privatsphäre. Wie oft bin ich mit 17 gefragt worden, wer jetzt meine Freundin ist? Das war verheerend. Es gibt Respektsbereiche, gewisse Sachen muss man machen, vieles aber nicht. Wenn ich in diesem Alter alle Wünsche erfüllt hätte, hätte ich diese Erfolge nicht. Ich bin da von meinem Umfeld, meinem Onkel und Manager Markus Prock, der selbst ein sehr erfolgreicher Sportler war, bewusst gebremst worden. Und das war gut so.

Standard: Stimmt der Eindruck, dass Ihnen der Sport zeitweilig keinen Spaß mehr gemacht hat?

Schlierenzauer: Der Eindruck kann entstanden sein, weil ich ein brutal professioneller Typ bin. Ich habe lernen müssen, dass ich nicht immer gewinnen kann. Ich habe mich, die Welt und den Sport besser kennengelernt. Jetzt bin ich, wie ich zuletzt öfters lesen durfte, erwachsener. Und ich bin von den Erfolgen her auf einem Niveau, dass ich es nicht mehr so verbissen sehe. Jetzt komme ich genau zu dem Punkt zurück, warum ich als Kind mit dem Skispringen begonnen habe. Wegen der Freude, dem Spaß. Da kommen nur ganz wenige hin, glaube ich.

Standard: Sie sind in einem Alter, in dem Sie in Ihrem Sport noch unübertreffliche Rekorde aufstellen können. Gibt es da manchmal Gedanken an die Unsterblichkeit?

Schlierenzauer: Nein, der Typ bin ich nie gewesen. Man muss demütig sein, weil es von heute auf morgen vorbei sein kann. Man muss schätzen, dass es einem gut geht. Was noch kommt, ist Draufgabe.

Standard: Sie kreieren Mode und fotografieren. Sind das reine Hobbys, oder steckt mehr dahinter?

Schlierenzauer: Als die Schule vorbei war, habe ich gedacht, jawohl, jetzt geht es los, Burschen, ihr könnt euch anschnallen, weil: Der Schlierenzauer hat keine Schule mehr und braucht nur mehr Skispringen. Ich bin dann aber eines Besseren belehrt worden. Ich bin vom Typ her der, der 24 Stunden darüber nachdenkt, wie er den halben Meter weiterspringen kann. Das geht auf die Dauer nicht. Ich wusste, dass ich mir etwas suchen muss, das mich beschäftigt, mich den Sport vergessen lässt. Da habe ich wirklich selber die Idee, ein paar lässige Klamotten zu designen. Und beim Fotografieren siehst du gewisse Dinge anders. Ich werde heuer wieder eine Ausstellung machen. Ich will den Leuten etwas zurückgeben. Und ich will zeigen, wie ich die Welt sehe, zeigen, was ich mit Worten nicht erklären kann.(Sigi Lützöw, DER STANDARD, 19./20. Mai 2012)