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Großer Bahnhof (oder eigentlich: Flughafen) für große Namen (im Bild: Antonio Banderas): Der Life-Ball-Trubel begann mit der Ankunft der Stars mit dem "Life-Ball-Flieger" am Freitagvormittag.

Foto: Reuters/Leonhard Foeger

Wien - Vor 20 Jahren hätte sich Gery Keszler wohl vieles vorstellen können. Aber sicher nicht, dass jene Party, die im Rathaus zu feiern ihm Wiens damaliger Bürgermeister Helmut Zilk huldvoll gewährt hatte, zum Leitevent der österreichischen Charityszene werden würde.

"Das ist der Gery Keszler, seids nett zu ihm", hatte Zilk damals, 1993, vor Journalisten den 30-jährigen Mödlinger vorgestellt. Und den damals außerhalb der Modeszene unbekannten Visagisten machen - und zittern - lassen: Der erste Life Ball sollte am 29. Mai über die Bühne gehen. Eine Woche vorher waren gerade 150 Karten verkauft. Obwohl Keszler mit Thierry Mugler einen Stardesigner brachte - und Vivienne Westwood auf der Gästeliste stand.

Egal: Der Ball fand statt. Das Fest war wüst. Noch heute erschauern Rathausmitarbeiter, wenn sie an die Spuren zurückdenken. Der Ball spielte eine Million Schilling (72.000 Euro) für HIV-Projekte ein. Aber vor allem: Helmut Zilk gab - angeblich auf Drängen von Dagmar Koller - Keszler seinen Segen für einen zweiten Ball.

Eine Geschichte der Superlative

Der Rest ist eine Geschichte der Superlative. Denn die Liste der Stars, die seit damals ins Wiener Rathaus (mit einer Ausnahme: 1999 wich Keszler baustellenbedingt in die Hofburg aus) kamen, ist lang. Die der Designer reicht von Westwood und Gaultier bis zu Agent Provocateur. Die der Models von Naomi Campbell bis zu Heidi Klum. Und dann kamen ja auch noch Sharon Stone, Sophia Loren oder Bill Clinton eigens wegen des Balls nach Wien. Oder Jimmy Sommerville und Marc Almond. Und natürlich Elton John. Und und und.

Der Ball wurde groß und größer. Die Tickets (rund 4500 Menschen passen ins Rathaus) waren binnen Minuten weg. Die Modeschau wanderte 2000 aus dem Rathaus auf den davorliegenden Platz - und auch die Erlöse stiegen: Der Schillingmillion von 1993 stand zuletzt, 2011, ein Reinerlös von zwei Millionen Euro gegenüber.

Mit dem Geld unterstützt "Aids Life", der Trägerverein des Life Balls, HIV- und Aids-Projekte in 35 Ländern. Etliche Projekte wären ohne ihn nicht möglich. Und auch die Location, ein "politisches Haus", ist eine Botschaft. Oder wird dazu erklärt.

Sicher: Dass Helmut Zilk Wien durch sein Placet zum Rathaus damals bewusst die Punze einer offenen, liberalen und auch sexuellen Minderheiten gegenüber freizügigen Stadt aufdrücken wollte, darf bezweifelt werden. Fakt ist aber, dass es dem internationalen Ruf der Stadt alles andere als geschadet hat, weltweit als Ort, an dem Weltstars ihr Engagement gegen Aids öffentlich zelebrieren, präsentiert zu werden.

Prestigeträchtige Ball-Sonne

In diesem Licht sonnt man sich gern: Der Ball ist unumstritten. Mehr noch: ein Pflichttermin. Davon, beim Maiaufmarsch so viel Publikum wie bei der Eröffnung des Balles am gleichen Platz zu haben, träumt die SP-Spitze nicht einmal mehr in ihren kühnsten Träumen. Dass Michael Häupl auf den prestigeträchtigen Auftritt am Red Ribbon verzichtet? Undenkbar. Aber auch Opposition, Wirtschaftselite, Kunst-, Sport-, Media- und Kulturnomenklatur gehören längst zur Stammbesetzung der - abgeschirmten - VIP-Bereiche des Balles.

Für diese Reviere Tickets zu bekommen ist eine Frage von Sponsoring- und Finanz-, respektive Netzwerkpower. Für Normalsterbliche gibt es eine SMS-Ticketlotterie - und Szene- und Style-Kontingente. Doch wie viele Tickets tatsächlich "frei" verkauft werden, ist eine Frage, die Keszler traditionell offenlässt.

Der Ball gilt nämlich - kraft Botschaft, Zweck und Glanz - als sakrosankt: Als vor einigen Jahren leise Fragen zur Verhältnismäßigkeit der Werbewirkung für Sponsoren und den von ihnen gezahlten Summen aufkamen, reagierte Keszler mehr als "verschnupft".

Der Ball bekam 2009 das "Spendengütesiegel"

Dass der Ball sich nach einer Schrecksekunde eingehend prüfen ließ und 2009 das "Spendengütesiegel" bekam, änderte am Grundproblem nichts: Wer nicht über das immer größere, im Kern aber immer gleiche Charityspektakel jubelt, gerät in den Verdacht, den Zielen des Balles Übles zu wollen.

Weil dort alles, was in Österreich als offen, liberal und aufgeklärt gelten will, um Keszlers Huld und Nähe buhlt: Zum 20. Jahrestag ist die von Helmut Zilk gnädig gewährte, einst wilde Szene-Party nicht bloß im Establishment angekommen - sie ist selbst das Establishment geworden. Auch wenn sie das nie zugeben würde. (Thomas Rottenberg, DER STANDARD, 19./20.5.2012)