Sami Abijera der aserbaidschanischen TV-Station Yurd TV (links) und ihre Übersetzerin (rechts): "Stolz darauf, den ESC in unserem Land auszurichten!"

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Crystal Hall und dahinter die monströse Fahnenstange. Und viele, viele Absperrungen.

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Die Trackshittaz posieren standesgemäß bei ihrer Pressekonferenz.

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Sascha Mutavdzic von Eurovision Austria.

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Jan Feddersen, einer der bekanntesten Eurovisionsexperten Deutschlands.

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Nico Pittortou aus Zypern hat die Italienerin Nina Zilli mit "L'amore è femmina" als Favoritin.

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So sieht die Realität der meisten angereisten Delegationen aus.

Viele Exekutivbeamte, Soldaten und Polizisten säumen den Weg, wenn man von der Altstadt Bakus zur Crystal Hall geht. Der Weg führt vorbei an der bis vor kurzem größten Fahnenstange der Welt. Nur Tadschikistan hat seit 2011 einen drei Meter höheren.

Dass die Gegend rund um Crystal Hall und Fahnenplatz offenes und freies Gelände für jedermann und jederfrau ist, wird gar nicht vorgetäuscht. Im Gegenteil: Kontrollen überall. Öffentlicher Raum sieht anders aus.

The Bubble

Da stellt sich zwangsläufig die Frage, ob sich die Delegationen und die Journalist_innen vor Ort in einer großen Bubble bewegen und vom Alltagsleben Aserbaidschans kaum etwas mitbekommen. Der Norweger Morten Thomassen, Blogger für die NRK und Präsident des Song Contests Fanclubs OGAE Norwegen, leugnet die Eurovisionsblase nicht: "Wir bewegen die Bubble jedes Jahr von Stadt zu Stadt. Und so sehr wir uns für Menschenrechte oder für die Situation von Lesben und Schwulen in den Ländern interessieren, man ist doch vor allem für die Musik hier und hat kaum Zeit für Anderes." Thomassen weiß wovon er spricht, denn der ESC in Baku ist sein zwanzigster.

Sascha Mutavdzic, der täglich vom ESC auf seiner Website "Eurovision Austria" berichtet, sieht das auch so. Allerdings, so Mutavdzic: "Es kommt auch drauf an, was man draus macht. Es ist halt hier auch nicht einfach wenn man kein Aserbaidschanisch oder Russisch spricht. Nur Wenige sprechen Englisch." Russisch sprechen hilft also, wie auch der zyprische Journalist Nico Pittortou (Parikiaki) bestätigt, denn er spricht Russisch und hat vor sich auch mit Aserbaidschanern zu unterhalten. Aber: "Ich bin ja leider erst einen Tag hier!"

Jan Feddersen, der wohl bekanntester Eurovisionsexperte im deutschsprachigen Raum und NDR-Blogger sieht alles ein bisschen pragmatischer. Ihm gefällt der Städtebau Bakus und gibt zu, dass es wohl in kaum einer anderen Stadt möglich gewesen wäre innerhalb von neun Monaten aus einem Militärsumpf eine Kristallhalle hervorzuzaubern. Er betont: "Sowohl das Regime als auch die Opposition sind stolz auf den Event. Die Proteste sind doch sehr begrenzt." Er lobt - im Übrigen wie alle, mit denen ich sprach - die außergewöhnliche Gastfreundschaft, Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft der aserbaidschanischen Menschen. "Das hier ist ja nicht Nordkorea, man muss sich schon die Grauzonen genauer ansehen!"

Dem Niederländer Jacques Happe schien die Bubble-Frage zu überraschen. Die Gastfreundschaft und Hilfsbereitschaft ist das einzige, was ihm in Aserbaidschan auffiel. Mehr kenne er vom Land noch gar nicht. Die aserbaidschanische Journalistin Sami Abijera (Yurd TV) ist jedenfalls stolz darauf, dass der ESC in ihrem Land stattfindet. Ob die internationalen Gäste, denn auch das Alltagsleben kennenlernen würden? "Ja! Der Way of Life von Eurovision ist auch der Way of Life Aserbaidschans", so ist sie überzeugt. "Und die Gastfreundschaft sei eine der wichtigsten kulturellen Merkmale Aserbaidschans", betont sie.

Die Chancen der Trackshittaz

Spricht man mit Journalist_innen und Fans im Pressezentrum, führt die Frage nach vermeintlichen Sieger_innen oder Fragen nach den Chancen Österreichs sofort zu entspannteren Gesprächen.

Die Trackshittaz probten heute jedenfalls zum zweiten Mal in der Crystal Hall und langsam scheinen technische Probleme mit den LED-Lampen besser - wenn auch noch nicht perfekt - zu klappen. Bei der Pressekonferenz überraschten sie jedenfalls mit einer volkstümlichen Version von "Woki mit deim Popo":

Jan Feddersen findet den österreichischen Beitrag nach "akustischer Gehirnwäsche mehrmaligen Hörens" mittlerweile sogar gut und glaubt an ein Finaleinzug. Diese Einschätzung teilen Sami Abijeri und Sascha Mutavdzic. Nico Pittortou glaubt auch daran, allerdings müssten die Trackshittaz die Energie der österreichischen Vorausscheidung wieder hinbekommen. Skeptischer sind Morten Thomassen und Jacques Happe. Sie glauben weniger an ein Finaleinzug. Für den Norweger ist aber eines klar: "The Trackshittaz are spicing up Eurovision." Und der Niederländer wünscht den Mühlviertlern zumindest viel Glück.

Und wer wird gewinnen?

Schweden und Russland bleiben die meist favorisierten Länder. Der Zyprer stimmt allerdings für Italien, der deutsche Feddersen hat auch die Niederlande, Großbritannien und Estland am Radar, während der Norweger auf die Ukraine tippt. Sascha Mutavdzic hofft vor allem darauf, dass jemand gewinnt mit dem man so gar nicht rechnet. Aserbaidschan wird aber kein zweites Mal gewinnen, denkt Sami Abijera.

Hack von esctoday.com

Hauptthema im Pressenzentrum heute übrigens der Hack der beliebten Website esctoday.com, die 12 Jahre ihrer Arbeit verloren und nun auf ihre Facebook-Seite umlenkt. Gestern war die Seite nicht mehr erreichbar, dafür prangte eine kämpferische Grafik auf der Site mit dem Text: "Was bringt Schwule nach Aserbaidschan? Was wird in aserbaidschanischen Familien nach der Gay Parade passieren? Es gibt keinen Platz für unmoralische Schwule in Aserbaidschan. Verlasst unser Land. Kein Platz in Aserbaidschan für Schwule, die aussehen wie Tiere." Auf dem Bild steht ein weiterer Satz in Azeri, der so viel bedeutet wie "Es gibt keinen Platz für das Böse in diesem Land - wir malen Blau zu rotem Blut." (Übersetzung laut Eurovision Austria). Viele hier vermuten den Iran dahinter. Geklärt ist aber nichts. (Marco Schreuder, derStandard.at, 18.5.2012)