Schauplatz der Gewalt: Annamária Láng als vergewaltigte Lucy in J. M. Coetzees Roman "Schande", in der Halle G im Museumsquartier.

Foto: Márton �?gh

Und erklärt die Halle G im Museumsquartier zu einem höllischen Schauplatz der Gewalt.

Wien - J. M. Coetzees Roman Schande (1999) ist Schauplatz einer Umverteilung. Der weiße Literaturprofessor David Lurie aus Kapstadt und seine auf dem Land lebende Tochter Lucy büßen in einer Zeit nach der Apartheid, auf unabwendbare Weise, ihre bis dahin scheinbar gesicherten Rechte ein. Schwarze Nachbarn gehen daran, die Besitzverhältnisse aufzubrechen. Und weil die Weißen ihre Ressourcen und die damit einhergehenden Reichtümer nicht freiwillig abgeben, geschieht das mit Gewalt.

Gewalt: ein Wort, das für die Inszenierungen des ungarischen Regisseurs Kornél Mundruczó essenziell ist. Die physische Brachialität seiner Inszenierungen verlangte bei den Wiener Festwochen im Vorjahr gar nach altersbeschränktem Zutritt (Es ist nicht leicht, ein Gott zu sein).

Mit der Adaption von J. M. Coetzees Roman Schande (1999) ist Mundruczó nun zum dritten Mal in Wien zu Gast. Bei der Premiere am Donnerstag in der Halle G ließ die ungebremst ausgestellte Brutalität am Ende allerdings eher verdutzte als geschockte Gesichter zurück. Das schmälert nicht die Urgewalt seines unverwechselbaren Ensembles, das sich nackt oder halbnackt, jedenfalls ohne Rücksicht auf Verluste hingab: dem unmittelbar körperlich ausgetragenen Überlebenskampf zwischen den Menschen. Dieser Kampf, auch der zwischen Mensch und Tier, findet auf archaischem Boden statt: Erde und Holz ragen in die notdürftig gezimmerten südafrikanischen Wohnstuben hinein (Bühne und Kostüme: Márton Ágh). Wobei sich der Schauplatz längst verschoben hat.

Recht auf Wohlstand

Heutzutage bangt dem europä ischen Kontinent vor der unabwendbaren Umverteilung, vor den Ansprüchen der einst Unterdrückten, der Zugewanderten, der Benachteiligten, die ebenfalls ihr Recht auf Wohlstand geltend machen. Das weiß Mundruczó (er meint gar, es wäre das ungarischste seiner Stücke), und deshalb tragen die schwarzen Vergewaltiger aus Coetzees Roman hier nur noch aus symbolischen Gründen schwarze Haarbuschen am Kopf.

Mit der Vergewaltigung Lucys erheben die Übeltäter Anspruch auf das von ihr bewohnte Land. Lucys Vater, der vorübergehend hier auf der Farm wohnende Professor, der pikanterweise nach dem Vorwurf des sexuellen Missbrauchs von der Uni in Kapstadt flog, kann seine Tochter nicht davon abhalten, den Deal einzugehen: mein Land gegen euren Schutz. Sie nimmt die Vergewaltigung hin, wird schwanger.

An der Gewaltsamkeit des Schauplatzes haben auch Hunde Anteil, die hier einst an der Schwelle zwischen Arm und Reich ihren Wachdienst geleistet haben, nach der Absiedlung vieler Weißer aber nur noch herumstreunen beziehungsweise jetzt exekutiert werden. Im linken Teil der Bühne werden sie nach den Todesspritzen im Hochofen verbrannt.

Der nackte Körper, das tote Tier, das erdige Terrain - das sind die Bestandteile des Mundruczó-Theaters, das Angst und Schrecken erzeugt. Immer wieder werden die Gewaltakte von Musik aufgefangen - einer singt die Nessun-dorma-Arie, als wolle er an die Staatsoper. Gewalt wird aber auch subtil hörbar, durch die vielen Mikrofone, die querfeldein über die Zimmerkonstruktion verteilt sind und etwa dem Stöhnen ein Echo geben oder Stimmen größer erscheinen lassen, als sie sind.

Schlussendlich kläffen Menschen wie konkurrierende hungrige Hunde; es führt vorerst kein Weg in eine gerechte Gesellschaft, es sei denn ein absolut schonungsloser. Das vermag Kornél Mundruczós Theater anzuzeigen. Doch geht der Hochdruck an Gewalt und Lautstärke auch ein Stück weit ins Leere. Zu viele nackte, geschundene Leiber verfehlen am Ende die ganz große Wirkung. Trotz eines schönen, anrührenden Schlussbildes. (Margarete Affenzeller, DER STANDARD, 19./20.5.2012)