Falko Bozicevic: "Eine Verachtfachung des Aktienkurses wie bei Google schließe ich bei Facebook definitiv aus."

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Am Freitag, so der Plan, geht Facebook, das größte soziale Netzwerk der Welt, unter dem Kürzel "FB" an die Technologiebörse Nasdaq.

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Facebook-Nutzer nach Ländern.

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Facebook ist der größte Internet-Börsengang aller Zeiten und der zweitgrößte Börsengang in der Geschichte der USA. Zusammen mit den Aktien, die bei den Alteigentümern verbleiben, bringt es Facebook auf einen Marktwert von 104 Milliarden Dollar. Eine gewagte Wette auf die Zukunft? Die Nachfrage nach den Aktien ist trotz nachgebesserter Preisspanne jedenfalls enorm und füllt vor allem das Konto eines Mannes: Mark Zuckerberg.

Der 28-jährige Gründer und Firmenchef ist größter Anteilseigner mit Hang zum Eigenwilligen. Kapuzenpulli und Börseschwänzen könnten ihm noch einmal auf den Kopf fallen, meint Experte Falko Bozicevic. Der Chefredakteur des Magazins "GoingPublic" wagt einen Blick in die Zukunft: Taugen Facebook-Aktien zur Altersvorsorge, sind Anleger nach dem Platzen der letzten Dotcom-Blase klüger geworden und inwieweit ist Google berechenbarer?

derStandard.at: Facebook wird mit dem 100-Fachen seines aktuellen Gewinns bewertet. Ist die Wette, 104 Milliarden Dollar durch den Börsengang einzusammeln, zu hoch gegriffen?

Bozicevic: Wäre der Gewinn von Facebook im vergangenen Jahr statt bei einer Milliarde bei zwei Milliarden gelegen, hätte sich an der Bewertung auch nicht viel geändert. Das heißt, die Bewertung basiert auf der künftigen Entwicklung. Die Krux dabei: Niemand weiß genau, wie diese aussieht. Facebook ist bis heute den Beweis schuldig geblieben, wie in der Zukunft große Gewinne aus Umsätzen erzielt werden. Würde Facebook wissen, wie personalisierte Werbung funktioniert, hätte der Konzern diesen Schalter längst betätigt. Das ist jedoch bisher nicht geschehen. Ich denke, dass - basierend auf den bisher vorliegenden Zahlen - die 100 Milliarden Dollar aus der Luft gegriffen sind.

derStandard.at: Ist der - nachgebesserte - Ausgabepreis der Aktien von 34 bis 38 Dollar zu hoch?

Bozicevic: Macht es einen Unterschied, ob Facebook 90 oder 104 Milliarden Dollar wert ist? In den USA ist es üblich, dass eine erhöhte Zeichnungsspanne nicht zwingend das obere Ende sein muss, und so kann der Ausgabepreis am Ende auch bei 40 Dollar liegen - Angebot und Nachfrage bestimmen den Markt. Facebook hat vor kurzem auch die Anzahl der auszugebenden Aktien erhöht, um der Nachfrage nachzukommen. Ein Vorgehen, das in Deutschland durch restriktivere Vorschriften so nicht möglich wäre. Wird in den USA unlimitiert gezeichnet, muss das gesamte Zeichnungsfenster nicht neu festgelegt werden und der Ausgabepreis kann wiederholt hochgesetzt werden, was noch ein paar Milliarden extra bringt.

derStandard.at: Apropos Nachfrage: In Asien ist diese 25-mal höher als das Angebot. Warum ausgerechnet in dieser Region?

Bozicevic: Prinzipiell ist eine regionale Streuung von Vorteil für jedes Unternehmen. Zum einen strebt jeder börsennotierte Konzern eine Diversifizierung seiner Investorenstruktur an. Unternehmen trachten nach unterschiedlichen Mentalitäten, kurz-, mittel- und langfristigen Investoren, institutionellen und Privatanlegern, die nicht auf dieselben Nachrichten zur gleichen Zeit reagieren. Zum anderen ist die Sparquote in Asien relativ hoch, das heißt, durch den Vermögensüberhang sind die Investoren immer auf der Suche nach lukrativen Anlagewerten. Kommt also ein amerikanisches Unternehmen mit solch einer Erfolgsstory wie Facebook daher, ergibt sich logischerweise eine ganz gute Nachfrage.

derStandard.at: Ist mit Facebook-Aktien gut zu verdienen?

Bozicevic: Ich halte Facebook nicht für ein Investment, sondern eher für einen Fanartikel. Facebook polarisiert seine User. Das wird auch bei den Investoren nicht anders sein. Die einen mögen es, die anderen stoßen sich an der "Datenkrake". Für die private Altersvorsorge sollte man weder Facebook-Aktien noch die eines anderen Web-2.0- oder Web-3.0-Unternehmens halten. Wie wir wissen, ist in den USA alles möglich und daher nicht abzuschätzen, ob sich der Preis von Facebook bereits am Tag des Börsengangs verdoppelt.

derStandard.at: Das Schnäppchenportal Groupon und der Spieleentwickler Zynga liegen heute weit unter ihrem Ausgabepreis. Ist der Markt seit dem Platzen der Dotcom-Blase vor zehn Jahren intelligenter geworden?

Bozicevic: Gerade Groupon ist ein abschreckendes Beispiel. Das Unternehmen kam mit hohen Erwartungen an die Börse. Heute, ein halbes Jahr später, hat sich der Aktienkurs halbiert. Natürlich gibt es auch erfolgreiche Beispiele: Als Google im Jahr 2004 an die Börse ging, fielen dieselben Argumente wie heute bei Facebook. Doch im Unterschied zum Konkurrenten startete Google bei 20 und nicht bei 100 Milliarden. Allen Unkenrufen zum Trotz, die Bewertung wäre zu hoch etc., hat Google in acht Jahren seinen Aktienkurs um das Achtfache steigern können.

Bei Google war von Anfang an absehbar, dass sich Umsatz- und Ertragskurve mittelfristig der Bewertung angleichen würden. Genau das sehen wir bei Facebook nicht. Im Raum stehen 100 bis 110 Milliarden, vier Milliarden Umsatz, eine Milliarde Gewinn im nächsten Jahr, abflachendes Wachstum, abflachende Gewinnkurve, und es ist nicht absehbar, wie das Unternehmen in die heutige horrende Bewertung hineinwachsen kann und womit Facebook in Zukunft weiter hohe Umsätze und Gewinne erzielen will. Eine Verachtfachung des Aktienkurses wie bei Google schließe ich bei Facebook definitiv aus.

derStandard.at: Nach eigenen Angaben wurden 85 Prozent des Umsatzes 2011 von Facebook über Werbung generiert. Der Kunde muss also über das Verhalten der Nutzer informiert werden. Ein Fall für die Datenschützer?

Bozicevic: Facebook geht immer zwei Schritte nach vorne, wird für etwas kritisiert und geht einen Schritt zurück - unterm Strich steht das Unternehmen also besser da als zuvor. Datenschutz ist ein großes Thema. Rein rechtlich hat Facebook nie etwas Falsches getan. Natürlich gibt es auch die moralische Komponente, und viele wandern daher auch von Facebook zu konkurrierenden sozialen Netzwerken ab.

derStandard.at: Instagram wurde von Facebook aufgekauft, bevor es zur Gefahr werden konnte ...

Bozicevic: Genau. Facebook hat die Photo-Sharing-App wenige Wochen vor dem Börsengang mal schnell für eine Milliarde Dollar gekauft. Einmal börsennotiert, wird Facebook die eigene Aktie als Akquisitionswährung einsetzen und entweder Technik, die man nicht selbst entwickeln konnte und für die man zuvor Cash hinlegen musste, damit kaufen können oder unliebsame Konkurrenten aus dem Weg räumen. Es ist durchaus denkbar, dass Instagram in einigen Monaten abgeschaltet wird und der Kauf nur seiner Beseitigung diente.

derStandard.at: Als Facebook die Schwelle von 500 Anteilseignern überschritt, kündigte Mark Zuckerberg den Börsengang an. Wie freiwillig war diese Entscheidung?

Bozicevic: Offenbar hat bei derart vielen Einzelinvestoren die US-Börsenaufsicht Druck ausgeübt. Facebook hätte nach den Regularien ohnehin auch als privates Unternehmen Jahresberichte oder Investorenstrukturen veröffentlichen müssen, da lag der Gang aufs Parkett nah - mit dem schon erwähnten Vorteil, die Aktie als Akquisitionswährung einsetzen zu können.

derStandard.at: Zuckerbergs Auftritt in Kapuzenpulli vor New Yorker Investoren gefiel nicht allen, fast gleichzeitig kündigte er an, das Börsendebüt an der Wall Street zu schwänzen. Ist Zuckerberg erwachsen genug für ein milliardenschweres Unternehmen?

Bozicevic: Natürlich kommt er mit seinem Outfit nicht bei jedem an, aber er ist 28 Jahre alt - man mag es ihm verzeihen. Er muss sich nicht in das Microgeschäft einmischen, sondern agiert als eigenbeauftragter Repräsentant von Facebook, der in Sachen Investor Relations unterwegs ist. Er kann sich vieles erlauben, solange das Geschäft so gut läuft, doch Hochmut kommt vor dem Fall. Wenn die hohen Erwartungen nicht erfüllt werden, wird ihm genau das später angelastet werden.

derStandard.at: Die Umsätze gehen bereits zurück. Soeben ist auch General Motors als Werbekunde abgesprungen. Kann man daraus eine bestimmte Tendenz für die Zukunft ablesen?

Bozicevic: Nicht unbedingt, denn für jedes Beispiel gibt es auch ein Gegenbeispiel. Ford hat seine übliche Werbung rund um das Nationalereignis der USA, den Super Bowl, eingestellt, wirbt dafür bei Facebook und verzeichnet seitdem nach Eigenangaben eine Verdoppelung der Nachfrage nach bestimmten Modellen - im Gegensatz zu einem nur zehnprozentigen Anstieg bei den Super-Bowl-Spielen. Den Absprung von General Motors, die ohnehin nicht gerade für die Erfolgsgeschichte schlechthin in den USA stehen, wird Facebook wohl verkraften. Ob weitere Unternehmen auf einen Schlag ihre Werbeeinschaltungen stoppen oder ob und wie viele dazukommen, ist einmal mehr leider aber nicht prognostizierbar - und ein weiterer Risikofaktor für die Aktie. (Sigrid Schamall, derStandard.at, 16.5.2012)