"Das Auto ist der Elefant im Porzellanladen", findet der dänische "Fahradbotschafter" Mikael Colville Andersen. Sein Fotoblog zeigt den Trend zum Fahrrad.

Wien will Kopenhagen werden - jedenfalls, was das Fahrradfahren betrifft. Die Vorzeigestadt hat einen Fahrradanteil am Verkehr von über einem Drittel (Wien: sechs Prozent).

Hinzu kommt, dass die Dänen wohl auch auf ästhetischer Ebene eine Vorreiterrolle haben. Mikael Colville Andersen hat dies in einem Fotoblog über Jahre dokumentiert. Jetzt erscheint sein Buch "Cycle Chic".

Foto: cyclechic/mikael colville andersen

Andersen gilt inzwischen als der inoffizielle Radbotschafter Kopenhagens. Am Mittwoch war er in Wien mit dem Fahrrad unterwegs. Die Verkehrssituation löste durchaus Verwirrung bei ihm aus: "Ich habe viele Arten von Infrastruktur erlebt." In Kopenhagen würde man sich nach einer Kreuzung nicht überraschend auf der Straße wiederfinden statt auf dem Radweg. Da sei das Design durchdacht.

Wien fehle es an Uniformität. Andersen traf sich auch mit dem Radverkehrsbeauftragten Wiens, Martin Blum, um ihn zu inspirieren.

Foto: maria von usslar/derstandard.at

Begonnen hat Andersen 2006 mit dem Blog "Cycle Chic", wo er zumeist hippe Menschen auf dem Fahrrad fotografierte und online stellte.

Ein  Bild erzeugte enorme Reaktionen: Ein Mädchen mit Rad und Rock auf dem Aboulevarden. "Im Bewusstsein hat das Rad vorher nicht existiert." Jetzt sei das Fahrrad ein Mode-Accessoire und an dem Foto sähe man, dass Radfahren chic sein kann, weil man dafür nicht unbedingt einen Trainingsanzug tragen müsse.

Foto: cyclechic/mikael colville andersen

Zunehmend hätten ihn Menschen auf den Blog hin zu Fahrradthemen befragt. Inzwischen berät er Städte weltweit in Verkehrsfragen.

Foto: cyclechic/mikael colville andersen

Aber auch in Kopenhagen gibt es Probleme zwischen Radfahrern und Autos. "Dass Autofahrer aggresiv auf Radler reagieren, ist verständlich. Tagtäglich müssen sie mit ansehen, wie die Fahrräder an ihnen vorbeirauschen, während sie im Verkehr feststecken."

Deswegen sei für Andersen das Fahrrad in Städten auch das Fortbewegungsmittel der Zukunft - eine logische Konsequenz des Bevölkerungswachstums.

Foto: cyclechic/mikael colville andersen

Die Fashion-Industrie ist auf den Zug aufgesprungen. Louis Vitton lässt seine Models auf Rädern posieren und die Leute auf der Straße machen's vor.

Andersen will den Trend solange wie möglich wach halten, um mehr und mehr Menschen zum Umsteigen auf den Sattel zu bewegen. 

Foto: cyclechic/mikael colville andersen

In Kopenhagen ist das Rad aber nicht ausschließlich hip, sondern durchaus ein praktischer Gegenstand.

Der Trend geht zum Cargo-Bike, mit dem die ganze Familie, der Einkauf oder der Weihnachtsbaum transportiert werden können.

Foto: cyclechic/mikael colville andersen

Und die Kopenhagener scheinen wetterresistent.

Foto: cyclechic/mikael colville andersen

Wien hinkt hinterher. Den Anstieg in den vergangenen zwei Jahren, 20 Prozent seit 2010,  begrüßt der Radbeauftragte Blum. Bis 2015 will er das Aufkommen auf insgesamt zehn Prozent steigern.

Für Andersen ist das in Wien nur möglich, wenn den Autos Platz genommen wird. Hier sei das Auto "der Elefant im Porzellanladen - viel zu groß und viel zu gefährlich".

Foto: viennacyclechic

Die Wiener fahren abwechselnd auf Gehsteigen, Radwegen und Straßen. "Wenn Radfahrer eine rote Ampel überqueren, dann ist die Infrastruktur schuld", ist für Andersen eine legitime Ausrede. Im Idealfall sei der Verkehr so designt, dass Radfahrer immer vorankommen.

Foto: viennacyclechic

Der Blog "Cycle Chic" ist bereits nach Wien expandiert (viennacyclechic.at). Um aus Wien Kopenhagen zu machen, reicht aber kein "Hipstertrend".

2013 soll Wien mit der Velo-City, einer internationalen Konferenz rund um das Fahrrad, einen erheblichen Aufschwung erleben, verspricht das Rathaus.

Foto: viennacyclechic

Auch in Kopenhagen muss noch einiges weitergehen, um die vielen Radler im Verkehr unterzubringen. Derzeit wird die Stadt mit dem Super-Cycle-Highway, einem Radschnellweg, ausgebaut.

Foto: cyclechic/mikael colville andersen

Zu dem Konzept zählen Luftpumpenstationen, Fußstützen an Kreuzungen und eine Beschilderung, die fest in die Struktur des gesamten Verkehrsleitsystems integriert ist.

Foto: cyclechic/mikael colville andersen

Auch die Regionalbahnen haben aufgerüstet. Anhand der Zeichensprache lässt sich durchaus eine Priorität ablesen.

Foto: cyclechic/mikael colville andersen

Kopenhagen zeigt sich vorbildlich. Doch weshalb tragen die schicken Radler auf Andersens Fotos nie Helme? Mit einer Helmvorschrift kann sich der Fahrradexperte nicht anfreunden:

"Weil man den Leuten damit erzählt, dass Fahrradfahren gefährlich ist. Autofahrer könnten genausogut Helme tragen, das würde viel mehr Tote verhindern. Tun sie aber nicht. Das ist der seit rund 75 Jahren übliche Werbekampagne der Autoindustrie zu verdanken."

Foto: cyclechic/mikael colville andersen

Und so verhalte es sich auch beim Tragen von Helmen auf dem Fahrrad: Je mehr Helme es gäbe, desto weniger Fahrradfahrer - und er wolle schließlich genau das Gegenteil erreichen. Mit seiner Kampagne setzt er daher auch auf Radfahren als Modetrend. (Maria von Usslar, derStandard.at, 16.5.2012)

Infos:

Das Buch "Cycle Chic" erscheint am 21.5. auf Deutsch

Bereits erschienen und von derStandard.at besprochen: "Cycle Style"

Foto: cyclechic/mikael colville andersen