Facebook geht an die Börse und wird - noch - mit 100 Mrd. Dollar bewertet. Dieser Preis beruht nicht auf materiellen Werten, auch nicht auf einer Unternehmensgeschichte mit hohen Umsätzen. Dieser Preis basiert vielmehr auf einer Geschäftsidee, für die ca. 900 Millionen Internetnutzende gewonnen wurden, die ihre Daten unentgeltlich für Werbezwecke zur Verfügung stellen.

Der Börsenwert hat einen kleinen Haken, nämlich dass er auf einer informationellen Ausbeutung der Nutzenden beruht, die zumindest in Deutschland und Europa illegal ist: Die Zusammenführung und Auswertung der Nutzungs- und Profildaten zu Marketingzwecken, die Erfassung von Drittdaten aus Adressbuchkopien, die Generierung biometrischer Bilddatenbestände, die erlaubnisfreie Datenweitergabe etwa an Applikationsanbieter, die Missachtung des Verbraucherschutzrechts und des Rechts der allgemeinen Geschäftsbedingungen, die Verweigerung von Auskunft, Löschung und sonstigen Betroffenenrechten, die fehlende Transparenz und die fehlenden Wahlmöglichkeiten, die Verarbeitung in den USA und die Nutzungsmöglichkeit durch US-Behörden, die ungebremste Kommerzialisierung der Daten für Werbezwecke... all das verstößt gegen unser Recht.

An die Stelle unseres demokratisch legitimierten Rechts setzt Facebook seine einseitig festgelegten Datenverwendungsrichtlinien. Es wird also ein zumindest in Europa illegales Geschäftsmodell für viele Milliarden Dollar im legalen Wertpapiermarkt vergoldet.

Irrationales Schweigen

Das ist nur dadurch möglich, dass diese Form des Börsengangs von der Konkurrenz und der Politik gedeckt wird. Das Schweigen der europäischen Wirtschaft, für die Facebook ein sich der Rechtskontrolle entziehender Konkurrent ist, verblüfft und lässt sich nur mit der Angst erklären, dass deren eigene verbraucher- und datenschutzrechtlichen Leichen durch eine Anprangerung Facebooks selbst an die Oberfläche gespült würden. Ein derart motiviertes Schweigen ist langfristig ökonomisch gedacht irrational. Es hat wohl auch mit dem Schweigen der Politik zu tun, die Facebook deckt, vom Ministerpräsidenten Schleswig-Holsteins bis zum US-Präsidenten. Dass die EU-Kommission einen - zweifellos langfristig angelegten - Versuch des Gegensteuerns mit ihrem Entwurf einer Datenschutz-Grundverordnung gestartet hat, ist scheinbar weder in der Öffentlichkeit noch an der Börse bisher angekommen.

Für die Internet-Nutzenden ändert sich mit dem Börsengang vordergründig nichts. Doch müssen sie damit rechnen, dass ihre informationelle Ausbeutung auf noch höherem Niveau fortgeführt wird. Schon bisher dienten alle Funktionalitäten Facebooks nur dem Ziel der Erhöhung von Mitgliederzahlen und Traffic und letztlich des Profits. Künftig stehen hinter diesem Ziel nicht nur ein Herr Zuckerberg und seine Mitarbeiter, sondern Aktionäre. Die Nutzenden müssen also damit rechnen, dass die Schamlosigkeit der Rechtsverletzung und der Datenauswertung zunimmt, solange diese von den Nutzenden, von der Öffentlichkeit und von den Aufsichtsbehörden nicht sanktioniert wird.

Alibikorrekturen bei den Nutzungsbestimmungen

Noch besteht Anlass zur Hoffnung: Nicht nur die EU-Kommission beäugt Facebooks Treiben mit Misstrauen. Die Datenschutzaufsichtsbehörden werden zunehmend aktiv. Die Verbraucherschützer wehren sich. Die Öffentlichkeit wird kritischer. Murdochs Medienimperium geriet durch massive Datenschutzverstöße ins Wanken. Facebooks Verstöße sind zweifellos weniger eklatant, wohl aber massenhafter. Letztlich besteht die reale Aussicht, dass auch diese Blase platzt. Die Alternative wäre, und damit wäre sogar den Aktionären geholfen, wenn sich Facebook zumindest für den europäischen Markt auf den Datenschutz besinnt. Denn es ist zweifellos möglich, mit personenbezogener Datenverarbeitung Geld zu verdienen und die Datenschutz- und Verbraucherschutzbestimmungen zu beachten. Dafür genügen aber keine Alibikorrekturen bei den Nutzungsbestimmungen, wie sie Facebook diese Woche zum dritten Mal - hoffentlich wieder vergeblich - durchzudrücken versucht. (Thilo Weichert, derStandard.at, 16.5.2012)