Andy Kaltenbrunner vom Medienhaus Wien diskutierte im Presseclub Concordia über prekäre Arbeitsverhältnisse im Journalismus.

Foto: Medienhaus Wien

29 Prozent der österreichischen Journalisten verdienen weniger als 2.000 Euro. Pro Monat und brutto. Unter dieser Grenze befinden sich 61 Prozent der Freien, bei den Angestellten sind es nur acht Prozent. "Der größte Teil der Freien arbeitet im Printbereich", sagt Andy Kaltenbrunner vom Medienhaus Wien. Er erhebt die Daten für den "Journalisten-Report". Knapp ein Drittel der österreichischen Journalisten sind ständige Freie. In Österreich, so Kaltenbrunner am Montag bei einer Veranstaltung im Presseclub Concordia in Wien, sei der wirtschaftliche Druck besonders groß - im internationalen Vergleich. Fast 80 Prozent sind der Meinung, dass dadurch die Qualität auf der Strecke bleibe. Organisiert und moderiert wurde die Podiumsdiskussion über prekäre Arbeitsbedingungen im Journalismus von Lisa Mayr, die als freie Journalistin u.a. für Ö1, den "Falter" und die "Presse" tätig ist.

Honorare wie vor 20 Jahren

Österreichs Journalisten waren noch nie so gut ausgebildet wie jetzt, meint Kaltenbrunner, der an der Fachhochschule Wien den Journalistenlehrgang mitkonzipiert hatte. Aber: Qualifikation bedeute nicht automatisch gerechte Entlohnung. Als Beispiel, wie sich die Situation verschlechtert hat, erwähnt er "profil". 200 bis 300 Euro erhalten freie Mitarbeiter derzeit für einen Artikel, der eine Seite umfasst. Im Jahr 1990 bekamen Freie noch zwischen 4.000 und 5.000 Schilling, also bis zu 363 Euro. Auch bei Zeitungen bewege sich das Texthonorar auf dem Niveau von vor 20 Jahren, kritisiert er und kontrastiert die Bezahlung mit Honoraren, die in der PR-Branche gezahlt werden. Auftragstexte, die in Kundenzeitschriften erscheinen, sind zum Teil das Zehnfache wert.

Das Metier, so Kaltenbrunner, werde von einem Generationenproblem dominiert. Ältere Journalisten seien sehr beharrlich, wenn es ums Verteidigen ihrer Pfründe geht. Jüngere Kollegen schauen durch die Finger. Und das, obwohl sie viel qualifizierter seien als jene, die vor 30 Jahren angefangen haben. Mangelnde Solidarität und eine "eklatante Asymmetrie" am Markt ortet auch Franz C. Bauer, Journalist und Präsident der Journalistengewerkschaft. Das Überangebot an Redakteuren führe zum Preisdumping, was Verlegern in die Hände spiele. Auf eine freie Stelle würden derzeit sieben Bewerber kommen. "Einer macht es immer billiger", sagt Bauer und erzählt von einem Studenten, der einer Zeitung sogar etwas zahlen wollte, um einen Artikel publizieren zu dürfen. Journalismus sei ein intellektueller Beruf. Das Problem dabei: "Intellektuelle sind unsolidarisch."

Kein Interesse an Qualitätsmedien

Ein anderes Problem sind für Bauer weniger die etablierten Journalisten, sondern die Verleger. Er macht sie für das Prekariat verantwortlich, weil sie "alle Forderungen abwehren". Medien würden von Managern geführt, denen das Unternehmen "völlig egal" sei, kritisiert er. Im Vordergrunde stehe nur die "gute Quartalsbilanz", die Arbeitsbedingungen seien sekundär. In der ersten und zweiten Managementebene sitzen Leute, die nie journalistisch gearbeitet haben. Neben den Verlagen selbst will Bauer die öffentliche Hand in die Pflicht nehmen. Die meisten Inseratengelder werden in Boulevardmedien gepumpt. Die Crux: "Parteien haben kein Interesse, dass es Qualitätsmedien gibt." Investigativer Journalismus koste Geld, Parteien seien nicht an der Aufklärung von Skandalen interessiert.

Eine neue Ära, nämlich den "Postjournalismus", konstatiert Michel Reimon, Ex-Journalist und Landtagsabgeordneter der Grünen im Burgenland. "Die Hauptarbeit von Medien ist, Publikum zu erzeugen." Und das Publikum werde dann an die Anzeigenkunden weitergereicht. "Unterhaltung und leichte Kost" leiten die Berichterstattung, so Reimon. Zu Lasten von Recherche und aufwendigen Artikeln. Motor-, Musik- oder etwa Reisejournalismus hätten zum Teil nur die Funktion, ein Umfeld für Inserate aufzubereiten: "Das geht auch mit billigen Arbeitskräften." Der Großteil des Erlöses werde über Werbung generiert. Und nicht über Käufer. Das Produkt folgt dem Markt - und nicht umgekehrt.

Die Situation dürfte sich für Journalisten weiter verschlimmern, befürchtet Reimon und nennt als Beispiel ganze Bereiche, die seiner Meinung nach "wegbrechen" werden. Etwa Musik, Reise oder Kochen. Für Empfehlungen brauche es keine Journalisten, Informationen gebe es überall.

Vorbild Deutschland

Für mehr Geld kämpft auch Sonja Bettel. Sie steht mit an der Spitze einer Gruppe von freien Radiojournalisten, die vom ORF eine adäquate Entlohnung ihrer Arbeit fordern. Um den Forderungen von Freien mehr Gewicht zu verleihen, wünscht sich Bettel eine breitere, medienübergreifende Protestfront. Die könnte sich nach einem Vorbild aus Deutschland formieren. Mit den "Freischreibern", wie sich die Gruppe nennt, hat sich eine Interessengemeinschaft konstituiert. Man könne nicht alles rein marktwirtschaftlichen Kriterien unterordnen, moniert Bettel, Journalismus sei eine Säule der Demokratie. Und gehöre entsprechend dotiert. Subventioniert werden primär die schlechten Medien, die nur "Content" produzieren: "Das ist kein Journalismus." Gratismedien gebe es mittlerweile in jedem Bezirk. Als Steuerungsinstrument in Richtung Qualitätsjournalismus könnte die Inseratenvergabe von öffentlichen Institutionen fungieren.

Ein Punkt, der auch Andy Kaltenbrunner am Herzen liegt. "Medienregulierung ist zentral." Er hofft, dass neue Standards für die Presseförderung definiert werden. Die Vergabe von Geldern könnte etwa mit der Anerkennung des Österreichischen Presserates gekoppelt werden. Zeitungen wie die "Krone", "Österreich" und "Heute" sind auch ein Jahr nach der Installierung des Gremiums noch nicht an Bord. Eine weitere Möglichkeit wäre, beispielsweise keine Privatradiolizenzen zu vergeben, wenn die Arbeitsbedingungen nicht stimmen, schlägt Kaltenbrunner vor. Solche Regulierungsmaßnahmen würden einen Wettbewerb um Qualität bringen. Das könnte auch für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk gelten. Nach dem Motto: prekäre Verhältnisse, keine Gebühren für den ORF.

Druck durch Konvergenz

Nicht nur Druck von außen, sondern auch eine Implosion in den Redaktionen werde Mauern zu Fall bringen. Ein gemeinsamer Newsroom, wie der Trend bei vielen Medien ist, könnte beispielsweise den im Vergleich mit Printredakteuren schlechter bezahlten Onlinern zugutekommen, glaubt er. Werden Verträge nicht angeglichen, drohe das Unternehmen zu "platzen". "Druck aus dem Leben", so formuliert es Kaltenbrunner. Ein Zündstoff, der auch dem ORF blühen werde - sollte der trimediale Newsroom wie geplant implementiert werden. Also TV, Radio und Online unter einem Dach.

"Je dümmer der Text, desto besser die Bezahlung", lautet der ernüchternde Befund von Andrea Roedig. Als freie Journalistin arbeitet sie zum Beispiel für die "TAZ", den "Freitag" und den STANDARD. "Für Qualität ist kein Geld da, man kann nicht davon leben." Um bei dem Zeichenhonorar über die Runden zu kommen, müsse man zu einer "Mischkalkulation" übergehen. Also zwischendurch PR-Texte oder "leichtere" Texte schreiben, denn: "Ich kann nicht eine Buchrezension für 36 Euro abliefern." Die Bezahlung stehe in keiner Relation zum Aufwand. "Geistige Fließbandarbeit" sei die Folge: immer mehr produzieren für immer weniger Geld. Und: "Die Freien sind die Idioten des Systems." Sie fordert das Fünffache des derzeitigen Honorars: "Wie wäre es, wenn alle Freien für zwei Monate streiken?"

Arbeitskampf bei Nein zum Journalisten-KV

Hoffnung, um freie Dienstnehmer in ein Angestelltenverhältnis zu überführen, wird in den Journalistenkollektivvertrag gesetzt. Allerdings seit Jahren. Ein Abschluss der Verhandlungen zwischen der Gewerkschaft und den Verlegern ist für Sommer avisiert. Gewerkschafter Bauer ist zuversichtlich, dass es zu einer Einigung kommt. Der Kollektivvertrag werde die Möglichkeit bieten, von diesem Beruf auch leben zu können, prognostiziert Bauer, derzeit spieße es sich noch an Fragen wie dem Urheberrecht und den Übergangsbestimmungen. "Entweder er wird in diesem Jahr fertig, oder es wird den Kollektivvertrag nicht geben." Bei einem Scheitern würden sich die Journalisten neu formieren, meint er: "Es wäre nicht der erste Streik, der erste Arbeitskampf, den ich zu führen habe." An prekär Beschäftige appelliert er, sich an die Gewerkschaft zu wenden. Es gebe schließlich sehr gute Möglichkeiten, einzelne Medien an den Pranger zu stellen. (Oliver Mark, derStandard.at, 15.5.2012)