Vor einigen Wochen startete SOS Mitmensch eine Petition gegen die (missbräuchliche) Verwendung des Wortes "Migrationshintergrund". Damit wurde eine breitere Diskussion über die Beziehungen zwischen Begrifflichkeiten, Sprache und Gesellschaft losgetreten. Wie kann man (politisch korrekt) über Integration reden?

Im deutschsprachigen Raum ist in der Diskussion um gesellschaftliche Veränderungen, die teilweise durch Migration bedingt sind, das Wort "Integration" modern geworden. Ohne Hinterfragen wurde es zur Beschreibung komplizierter Vorgänge und vielschichtiger Migrationspolitik angenommen. Problematisch sind viele Suggestionen, die "Integration" liefert.

Falsche Vorstellungen

Zunächst fokussiert der Begriff auf Gesellschaft, wie sie sein soll, und nicht, wie sie tatsächlich ist. Anstatt sich daran zu orientieren, was Migration und Vielfalt in der Bevölkerung bedeuten und bedingen, denkt man darüber nach, wie diese am besten zu beseitigen oder bewältigen wären. Ziel ist die Rückkehr zum hypothetischen und idealisierten Zeitpunkt null - vor der Migration. Das heißt, es herrscht die Vorstellung einer Gesellschaft, die durch Migration in ein Ungleichgewicht geraten ist. Dieser verabreiche man nun das Allheilmittel "Integration". Danach solle sich die Gesellschaft wieder einrenken.

Zusätzlich wird das trügerische Bild einer homogenen einheimischen Bevölkerung transportiert, die in einer Idylle der Gleichmäßigkeit lebt - in Bezug auf Normen und soziale Konventionen. In dieses Gleichgewicht dringt migrierende Bevölkerung ein und bringt sie durch Unkenntnis der Sitten und Bräuche durcheinander. Die Etymologie ist verräterisch: Integration kommt von lateinisch "integrare", also wiederherstellen.

Menschen reparieren

Es geht also um eine Wiederherstellung eines utopischen Anfangszustands und nicht um eine adäquate Herangehensweise an Herausforderungen oder gar eine Modernisierung der Gesellschaft. "Integration" ist ein primär problemorientiertes Werkzeug, das bei Menschen ansetzt, die Defizite haben. Diesen (zugewanderten) Menschen fehlen der Begriffslogik zufolge Eigenschaften, die die einheimische Bevölkerung besitzt. Die Frage ist immer, wie man diese Defizite ausgleichen kann, welche Schritte gemacht werden müssen, um diesen Bevölkerungsteil zu "reparieren", also an eine nicht klar definierte "Aufnahmekultur" anzupassen.

Das Ganze nennt sich dann "Integrationsmaßnahmen". Bei Schwierigkeiten mit Individuen spricht man dann von "Integrationsunwilligen" und "Integrationsbedarf". Die Vorstellung vom Resultat eines gelungenen "Integrationsvorganges": Die durch die Reparatur nun wieder homogen gewordene Bevölkerung lebt wieder in einer Idylle - wie vor dem feindlichen Eindringen ins eigene Territorium.

Weg mit der Integration

"Integration" teilt also in eine Bevölkerung, die "intakt" ist, und eine, die noch "repariert" werden soll - in ein "Wir" und ein "Sie". Schon deshalb sollte man von der Verwendung des Begriffes abgehen. Ein weiteres Problem ist die fälschliche Vereinfachung komplexer Vorgänge und Sachverhalte, die aus dem "Begriffspickerl" resultiert - ähnlich wie beim "Migrationshintergrund".

Es gibt viele verschiedene Definitionen von "Integration", und daher gehen je nach Situation und Sprecher die Vorstellungen davon, was sie bedeutet und beinhaltet, stark auseinander. Aufgrund dieser fehlenden Übereinstimmung und der fälschlicherweise transportierten Vorstellungen sollte man den inflationären Gebrauch stoppen. Was gefordert ist und gefördert werden sollte, ist interkulturelle Kompetenz bei allen Bürgern. Wir brauchen keine "Integrationsmaßnahmen", sondern neue Coping-Mechanismen für Gruppen und Einzelne gegenüber der immer vielfältiger werdenden Gesellschaft.

Interkultur

Der Migrationsforscher Mark Terkessidis schlägt in diesem Zusammenhang einen Wechsel zum Begriff "Interkultur" vor. Interkultur könnte nun auf zwei Arten verstanden werden. Erstens als Vermittlung und Verbindung zwischen verschiedenen Kulturen - doch hier wäre wieder die unsichere Definition des Wortes "Kultur" problematisch. Aber Interkultur kann auch als Zwischen-Kultur (im Sinne von Zwischen-Organisation) oder Kultur-im-Zwischen verstanden werden - diese Beschreibung wäre akkurater. Wir leben in einer Zeit, die mit den Herausforderungen von Migration hadert und eine klare Zwischen-Organisation braucht, um zu einer modernen Gesellschaft zu werden, in der Migration selbstverständlich ist.

Statt ständiger Aufrufe dazu, "sich zu integrieren", was die Verantwortung zur Teilhabe(möglichkeit) an der Gesellschaft "den Migranten" zuschiebt, legt der Begriff "Interkultur" im Sinne der Zwischen-Organisation sofort nahe, worin die Versäumnisse der Migrationspolitik der letzten Jahrzehnte liegen: der interkulturellen Öffnung und Sensibilisierung von Verwaltungseinrichtungen etwa oder einem interkulturellen Dialog und interkultureller Kompetenz in Bildungs- und Gesundheitssystem. Wünschenswert wäre eine Rückkehr des unsäglichen Begriffs "Integration" dorthin, wo er hingehört: in die Mathematik. (Olja Alvir, daStandard.at, 15.5.2012)