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Empörte Angehörige von Opfern des Kriegsrechts in Polen demostrierten heuer in einem Warschauer Gericht gegen die ihrer Meinung nach zu milde Behandlung der Verantwortlichen.

Foto: AP/Sokolowski

Warschau/Wien - "Um uns in Zukunft gegen totalitäre Regime verteidigen zu können, müssen wir verstehen, wie sie in der Vergangenheit funktioniert haben", sagt Lukas Kaminski Besuchern des Instituts für Nationale Erinnerung (IPN), das in Polen kilometerlange Ordnerreihen von Geheimakten aus der KP-Zeit hütet.

Ein lautstarker Teil der polnischen Öffentlichkeit fordert dar über hinaus die Verurteilung der Täter. So stand zu Jahresbeginn General Czeslaw Kiszczak in Warschau vor Gericht, weil er 30 Jahre davor als Innenminister die Ausrufung des Kriegsrechts mit verantwortet hat. Das Gericht bezeichnete den "Militärrat der Nationalen Errettung", der am 13. Dezember 1981 während des Konflikts mit der freien Gewerkschaft Solidarnosc die Macht ergriff, als "bewaffnete kriminelle Vereinigung". Vor der Verlesung des milden Urteils - zwei Jahre bedingt - gegen den 86-jährigen Kiszczak kam es zum Tumult. Zuschauer, darunter Nachfahren der damals 10.000 Inhaftierten, hielten Por-träts der etwa hundert während des Kriegsrechts Getöteten hoch und verlangten Gerechtigkeit.

General Wojciech Jaruzelski (88), damals Chef des Militärrats, wurde wegen seines schlechten Gesundheitszustandes für verhandlungsunfähig erklärt. Am Jahrestag des Putsches bat er die Polen um Entschuldigung, sagte aber, dass er es wieder so machen würde. Seine Verteidigung, er habe nur einen Einmarsch der Sowjetunion verhindern wollen, hat eine schwache Basis. Vom Margaret-Thatcher-Archiv in London jüngst freigegebene Geheimunterlagen über Unterhaltungen der damaligen britischen Premierministerin mit der US-Regierung zeigen, dass der Westen 1981 nicht an eine kurz bevorstehende Invasion in Polen glaubte.

Gegen Kiszczak wurde inzwischen ein weiteres Verfahren eröffnet. Ihm wird Mitschuld am Tod von neun streikenden Arbeitern in Kattowitz vorgeworfen.

Adam Michnik, als Dissident früher ein Mastermind des gewaltfreien Widerstands und nun Zeitungsherausgeber, hatte jahrelang vor solch einer "Politik des Hasses" gewarnt. Lange Zeit schienen die meisten Polen bereit zu sein, die Erfahrungen der Diktatur zu vergessen. "Doch dann kommt eine neue Generation, die unangenehme Fragen stellt", heißt es im Erinnerungsinstitut.

In Filmen und Büchern ist die Aufarbeitung der jüngsten Vergangenheit in Polen schon länger populär. So landete der Autor Zygmunt Miloszewski (35) mit dem Krimi Uwiklanie (auf Deutsch als Die Verstrickung bei dtv erschienen) einen auch verfilmten Bestseller, in dem es um ehemalige Geheimpolizisten geht.

Und mehr als eine Million Polen sahen den Film Schwarzer Donnerstag von Antoni Krauze, der weiter zurückschaut. Krauze zeigt, wie nach Preiserhöhungen die Arbeiter an der Ostseeküste protestieren. Die Machthaber lassen scharf schießen, allein in Gdingen bei Danzig gibt es 18 Tote. Das geschah am 17. Dezember 1970, fast zwei Jahrzehnte vor dem Ende der KP-Herrschaft. (est/DER STANDARD, 15.5.2012)