Wien - Das ist eine glatte Herausforderung: Vorbei sei "die Zeit der Revolution der Jungen", behaupten vier alte Aufmüpfige in Lola Arias' Melancolía y manifestaciones, das gerade bei den Festwochen im Brut Theater Künstlerhaus uraufgeführt wurde. Und die Behauptung, die Zeit der Revolution der Alten sei im Kommen, ist nicht das einzige Politikum darin.

Arias erzählt die Geschichte ihrer Beziehung zu ihrer manisch depressiven Mutter, die im argentinischen Putsch-Jahr 1976 erkrankte. Im ersten Teil des Stücks schildert die Künstlerin selbst vor einer kleinen Bühne-auf-der-Bühne die Skurrilitäten im Alltag mit ihrer Mutter und die teilweise grotesken Versuche von zwanzig Psychiatern, die Patientin zu behandeln. Aber dann treten zwei Frauen und zwei Männer - alle vier gut in ihren 70ern -,die den Ablauf bis dato tatkräftig unterstützt hatten, vor: "Wir haben jetzt genug von unserem Komparsendasein!"

Die charismatischen Laiendarsteller bauen sich also unmittelbar vor dem Publikum auf und erzählen von ihren Gebrechen, ihrem gesellschaftlichen Ausgezähltsein. Die Klammer zwischen der melancholischen Mutter und ihren aufbegehrenden Altersgenossen hakt dort ein, wo es wehtut: Ausgegrenzt werden die Kranken genauso wie die Alten - in Argentinien ähnlich wie in Europa, wo in die Jahre gekommene Menschen, wenn sie auf der Straße protestieren, schnell als "Wutbürger" abgekanzelt werden.

Arias' Methode, ihre Szenen in Kapiteln vorzuführen und das Dokumentarische poetisch anzureichern, wirkt. Wobei dem Aufstand der Alten deutlich weniger Tiefenschärfe zugesprochen wird als der Darstellung der Mutter. Daran könnte die Autorin noch arbeiten. (Helmut Ploebst, DER STANDARD, 15.5.2012)