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In Libyen laufen die Druckerpressen für Wahlplakate an: Am 19. Juni wird erstmals ein Parlament gewählt.

Foto: Reuters/Fetori

Tripolis/Kairo - Die immer wieder aufflackernde Gewalt in Libyen macht auch vor den Vorbereitungen zu den ersten Wahlen nach dem Sturz Muammar al-Gaddafis nicht halt. Bei Ubari, im Südwesten des Landes, wurde am Sonntag ein Kandidat von einer Gruppe Bewaffneter getötet, kurz nachdem er sich registriert hatte. Die Wahlkommission gab keine Erklärungen ab, niemand will sich festlegen, ob es sich um einen rein kriminellen Akt oder um einen politischen Mord handelt.

Für die 200 Mitglieder zählende Nationalversammlung, die am 19. Juni gewählt werden soll, haben sich rund 1400 Kandidaten sowie 71 Parteien und politische Gruppierungen eingeschrieben. Die Registrierung der Wähler und Wählerinnen läuft schleppender als erwartet. Die Oberste Wahlkommission hat deshalb beschlossen, die Frist um eine Woche bis zum 21. Mai zu verlängern. Damit wird der Zeitplan bis zum Urnengang immer enger.

Bis zum Wochenende hatten sich erst rund 48 Prozent der 3,2 Millionen potenziellen Wähler und Wählerinnen registrieren lassen. Angestrebt wird aber ein Wert von deutlich mehr als 55 Prozent. Besonders zurückhaltend sind die Frauen. Ihr Anteil betrug nur 38 Prozent. Wählen sei im Islam für Frauen und für Männer eine religiöse Pflicht, hat der Großmufti Scheich Sadiq al-Gheriani an seine Landsleute appelliert.

Ein Teil der Libyer im Ausland kann über die Zukunft ihres Landes mitbestimmen. Die Wahlkommission wird Wahlen in sechs libyschen Botschaften in Deutschland, England, den USA, Kanada, Jordanien und den Arabischen Emiraten organisieren. Dagegen bleiben tausende Libyer etwa in Ägypten und Tunesien ausgeschlossen, kritisieren lokale Menschenrechtsorganisationen.

Lokalparlament in Bengasi

Hinter den Erwartungen zurückgeblieben ist bereits das Interesse an Wahlen auf lokaler Ebene. In Tripolis wurden die Vorbereitungen sogar auf Eis gelegt. In Bengasi wird am Samstag das Lokalparlament zwar gewählt, aber auch da haben sich statt der erhofften halben Million nur 216.000 Wähler eingeschrieben. Um die 41 Sitze bewerben sich 414 Kandidaten, davon sind nur 23 oder 5,5 Prozent Frauen.

Libyen bleibt instabil, und viele befürchten ein Ansteigen der Gewalt vor den Wahlen. Vergangene Woche kam es zu einem besonders spektakulären Vorfall, als etwa 200 bewaffnete Ex-Rebellen den Sitz der Übergangsregierung in Tripolis angriffen und dabei einen Sicherheitsmann töteten. Die jungen Männer wollten mit ihrer Aktion dagegen protestieren, dass ihnen die versprochenen finanziellen Entschädigungen noch nicht ausbezahlt wurden. Die Regierung hatte die Auszahlung dieser Entschädigung vorerst gestoppt, weil es zu massivem Missbrauch gekommen war.

Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) bringt nun auch wieder die Nato-Luftangriffe, die dem Sturz Gaddafis vorausgingen, aufs Tapet. Human Rights Watch erkärte am Montag, dabei seien 72 Zivilisten ums Leben gekommen, davon 20 Frauen und 24 Kinder. HRW wirft der Nato vor, die "Kollateralschäden" ihres Einsatzes herunterzuspielen und verlangt eine Untersuchung und Entschädigung der Opferfamilien. Amnesty International hatte im März 55 zivile Opfer dokumentiert. (Astrid Frefel /DER STANDARD, 15.5.2012)