Strammstehen mit General Aladeen, Alleinherrscher über den Staat Wadiya und die jüngste Erfindung von Sacha Baron Cohen.

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Wien - Tiefschwarzer Wallebart, schrillbunte Fantasieuniform und ein überlebensgroßes Ego: Für seinen vierten Kinofilm "Der Diktator" hat sich Sacha Baron Cohen erstmals einen noch nicht im Fernsehen erprobten Charakter übergestreift. Nach dem großmäuligen Rapper Ali G, dem entwaffnend direkten kasachischen Reporter Borat und dem österreichischen Modedodel Brüno verkörpert der britische Komiker diesmal einen gewissen General Aladeen, Herrscher über den Operettenwüstenstaat Wadiya.

Die Widmung zu Beginn des Films gilt dem lieben Andenken an Kim Jong-il, das maßgebliche Vorbild für Diktatorenselbstverständnis und -Lifestyle ist unverkennbar Muammar al-Gaddafi - Unterhaltungswert und transgressive Sprengkraft solcher Referenzen sind nicht nur aufgrund der jüngsten historischen Ereignisse enden wollend. Aber die neue Fantasiefigur wird auch nicht mehr auf reale Situationen und Menschen losgelassen. Mit Überschreitungen des guten Geschmacks und anderer sozialer Übereinkünfte riskiert man innerhalb eines fiktionalen Universums schnell einmal weniger.

Beispielhaft ist in diesem Sinn eine Szene, die das "Borat"-Setting rekapituliert und gleichzeitig immer schon hinter dessen Überfallskomik zurückfallen muss: Während eines Helikopterfluges über New York versetzen Aladeen und sein Landsmann Nadal zwei weiße US-Touristen in Panik, die aus ihrem (fürs Publikum untertitelten) harmlosen Dialog bloß Reizwörter wie "911" (der Porsche ist gemeint) heraushören.

"Der Diktator" hat außerdem auch kaum etwas mit dem entlarvenden Slapstick von Charlie Chaplins "Der große Diktator" zu tun - mehr schon mit US-Komödien wie Eddie Murphys "Prinz aus Zamunda". Wie jener afrikanische Herrscherspross bezieht auch der Diktator einen Großteil seiner Komik aus der Konfrontation zweier Welten.

Achselküsse und Atomtests

Die ersten Szenen in Aladeens angestammtem Wirkungsbereich haben also den Zweck eines sachkundigen Schnellkurses: Daheim herrscht der Bärtige mit Eisenhand über das Volk von Wadiya, Unterwerfungsgesten wie der ortsübliche Achselkuss sind noch das geringste Übel. Mehr als die innenpolitische Lage stört die Weltgemeinschaft naturgemäß, dass Aladeen in Atomversuche investiert ("zur friedlichen Nutzung", verkündet der General seinem Volk unter Kicheranfällen). Eine Reise nach New York und eine Rede vor der Uno sollen diesbezüglich Klärung schaffen. Aber ein Vertrauter des Generals nützt die Gelegenheit für eine hinterhältige Entmachtung.

Der Film wird zur Verwechslungskomödie, Aladeen bekommt es nun erst mit einem völlig neuen Gegner zu tun: einer mit Uniabschluss in Genderstudies ausgerüsteten, ökobewussten und politaktivistischen Frau mit kurzen Haaren, auch unter den Achseln, die Anna Faris ("Smiley Face") angemessen engagiert verkörpert.

Gags werden nicht erst ab diesem Zeitpunkt routinemäßig abgefeuert - und längst nicht alle zünden. Manche zielen tief und geben's allzu billig: etwa wenn US-Schauspielerin Megan Fox als sie selbst nächtens das Bett des Generals verlässt und eine Verlängerung des Bezahl-Dates inklusive Kuscheln mit dem Hinweis ablehnen muss, dass sie schon vom italienischen Ministerpräsidenten gebucht sei.

Manche sind gemein, aber wortwitzig: etwa die Tiraden, mit denen Aladeen seine viel zu wohlmeinende neue Freundin bedenkt ("haaairy Potter"). Und wieder andere künden noch von der skrupellosen Ader Baron Cohens, wenn es um Expertise in Sachen Folter (Wadiya schlägt die CIA) oder um Frauenrechte (gebildete Frauen sind putzig wie Äffchen auf Rollschuhen) geht.

Einige der Szenen zwischen Baron Cohen und Faris beziehungsweise dem US-TV-Komiker Jason Matzoukas, der den Atomwissenschafter Nadal spielt, entwickeln geschmeidige Dynamik und den Charakter semiimprovisierter Schlagabtäusche. Letztlich bleibt "Der Diktator", den neuerlich Hausregisseur Larry Charles inszeniert hat, aber ein ziemlich kalkulierter Spaß. Baron Cohen und seine drei Koautoren, alle mit "Seinfeld"- und "Curb Your Enthusiasm"-Credits ausgestattet, ziehen unterschiedliche Register für unterschiedliche Zielgruppen und wollen es dabei möglichst vielen recht machen. Wo der Kunde König ist, da hat selbst ein Diktator einen schweren Stand. (Isabella Reicher, DER STANDARD, 15.5.2012)