Brüssel/Kiew - Es gibt keinen EU-Boykott der Fußball-EM. Aber der Ärger der Europäischen Union über die Zustände im Gastgeberland Ukraine ist groß. Ein wichtiges Abkommen liegt bis auf Weiteres auf Eis. Und ein demonstratives Fernbleiben von EU-Politikern ist immer noch möglich.

Die Politiker der EU-Staaten wollen erst in letzter Minute entscheiden, ob sie zur Fußball-Europameisterschaft in die Ukraine reisen. Das vereinbarten die Außenminister der Europäischen Union am Montag in Brüssel. Einen sportlichen Boykott der EM wegen des Streits über die Behandlung von Oppositionsführerin Julia Timoschenko und anderer Politiker schlossen sie aus. Sie legten aber ein wichtiges Assoziierungsabkommen mit Kiew bis nach den für Oktober geplanten Wahlen in der Ukraine auf Eis.

"Grundlegende Werte"

Die Unterzeichnung des Abkommens würde "eine politische Kursänderung in der Ukraine voraussetzen", sagte die Staatssekretärin im deutschen Außenministerium, Emily Haber. Die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton sagte, die Ukraine müsse vor allem die Unabhängigkeit der Justiz und die Rechtsstaatlichkeit garantieren. "Wir können nicht vorankommen, wenn die Ukraine nicht diese grundlegenden Werte respektiert."

"Wenn jemand nicht in die Ukraine reisen will, ist das seine Sache", sagte der ukrainische Präsident Viktor Janukowitsch am Montag in Donezk. Er gab zu, dass der Fall der in Haft erkrankten Timoschenko belastend für die frühere Sowjetrepublik sei. Er warne aber vor Versuchen, die Ukraine mit Kritik am Umgang mit der Oppositionsführerin zu "demütigen": "Wir werden mit aller Macht dagegenhalten."

"Es wird wird meiner Meinung nach keine Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens geben, bevor diese freien und fairen Wahlen nicht stattfinden, die ja für Herbst geplant sind", hatte Außenministeriums-Staatssekretär Wolfgang Waldner (ÖVP) bereits vor Beginn der Sitzung gesagt. Neben der EU-Kommission hat bisher lediglich Österreich schon festgelegt, dass es keine Politiker in die Ukraine schickt. Österreich hat sich aber auch nicht für die EM-Endrunde qualifiziert.

Waldner betonte, es gehe darum, dass die EU ein Signal an Kiew schicke. Es gehe dabei nicht nur um die medizinische Behandlung der inhaftierten Ex-Regierungschefin Julia Timoschenko, sondern um Rechtsstaatlichkeit und um andere Fälle. Der andere Aspekt seien freie und faire Wahlen.

"Sorgfältig verfolgen"

"Wir sind nicht so weit, Entscheidungen zu treffen. Aber wir werden die Entwicklung sehr sorgfältig verfolgen und anschauen, was in der Ukraine passiert", sagte Ashton. Freie und faire Wahlen im Oktober sowie die Fortsetzung der Reformpolitik sind nach Worten Habers "die beiden entscheidenden Messlatten der nächsten Zeit - zusammen natürlich mit der Art und Weise wie die Ukraine sich entschließt, mit den Oppositionspolitikern umzugehen."

"Rechtsstaatlichkeit ist sehr wichtig", sagte auch Schwedens Außenminister Carl Bildt. "Die Politik der Rache hat keinen Platz in der europäischen Politik. Aber es ist Sache der Politiker in der Ukraine, zu entscheiden, ob sie ihr Land in Richtung Polens oder in Richtung Weißrusslands führen wollen."

"Ich glaube, dass es unter diesen Umständen auch möglich ist, guten Fußball zu spielen, ohne dass viele Minister da sind", sagte der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn. Auch der belgische Außenminister Didier Reynders sagte, ein sportlicher Boykott bestrafe mehr die Sportler. Er sei jedoch für ein politisches Zeichen: "Ein politischer Boykott scheint mir völlig unerlässlich zu sein."

Die USA forderten erneut die sofortige Freilassung Timoschenkos. "Die Verurteilung von Frau Timoschenko und anderer Mitglieder ihrer Partei ist unzulässig", sagte der US-Botschafter in Kiew, John F. Tefft, nach einem Besuch bei der Oppositionsführerin in einer Klinik in der Stadt Charkow. Dabei überbrachte er Timoschenko in Begleitung des stellvertretenden US-Außenstaatssekretärs Thomas O. Melia auch Grüße von US-Außenministerin Hillary Clinton.

Im ukrainischen Parlament wurde unterdessen ein Gesetzentwurf eingebracht, der die ärztliche Behandlung von Verurteilten im Ausland erlauben soll. Ob und wann die Oberste Rada darüber abstimme, sei offen, sagte Parlamentspräsident Wladimir Litwin. Die Bundesregierung hatte mehrfach eine Behandlung von Timoschenko etwa in der Berliner Charité angeregt. Das hatte die ukrainische Führung aber auch unter Hinweis auf fehlende Rechtsgrundlagen abgelehnt.

Janukowitsch versprach in Donezk, Timoschenko die beste Behandlung zukommen zu lassen. Die Politikerin wird seit ihrer Verlegung von einem Gefängnis in eine Klinik in Charkow von einem Berliner Neurologen betreut. Vize-Gesundheitsminister Alexander Tolstanow bezeichnete den Zustand von Timoschenko als gut. Nachdem sie ihren dreiwöchigen Hungerstreik beendet habe, nehme sie wieder leicht an Gewicht zu. (APA, 14.5.2012)