Wien/Linz - Auf eine Demokratiereform noch vor der nächsten Wahl drängt Verfassungsgerichtshofs-Präsident Gerhart Holzinger. Angesichts des "um sich greifenden Defätismus" müsse die Meinung des Einzelnen mehr Gewicht bekommen - durch Ausbau des Persönlichkeitswahlrechts und der direkten Demokratie, sagte Holzinger am Samstag beim Österreichischen Juristentag in Linz. Lobend äußerte er sich über den Korruptions-Untersuchungsausschuss.
Es sei zu hoffe und zu fordern, merkte Holzinger an, dass der U-Ausschuss "seine Tätigkeit von einseitigem Parteiinteresse unbehindert und ohne Zeitdruck ausüben kann". Denn dieser sei ein "wichtiges, legitimes und unersetzliches Instrument der politischen Kontrolle". Moralisches Fehlverhalten müsse "gesellschaftlich und politisch sanktioniert", strafbares Verhalten effizient "und mit der notwendigen Härte geahndet werden". Dabei erweise sich der U-Ausschuss als "besonders wirksam".
"Besorgniserregendes Ausmaß"
"Moralisches, vielleicht auch strafbare Fehlverhalten" einzelner Politiker, Korruption in Ausübung öffentlicher Ämter und "intransparente Vorgänge" bei der Parteienfinanzierung trügen dazu bei, dass die Unzufriedenheit mit der Politik ein "besorgniserregendes Ausmaß" erreicht habe. Ebenso ein "um sich greifender Defätismus" - also der Eindruck, dass es gleichgültig ist, wen man wählt, "es kommt doch immer wieder das Gleiche heraus".
Die Schuld dafür sieht Holzinger nicht allein bei den Politikern, "sie in die Rolle des 'Sündenbocks' zu drängen, löst das Problem nicht, sondern verschärft es". Aber die Politik müsse Wege suchen, um die Teilnahme der Bürger am politischen Prozess zu fördern. Ihre Meinung müsse mehr Gewicht bekommen. Dafür hält Holzinger eine Personalisierung des Wahlrechts und den Ausbau der direkten Demokratie für nötig: "Volksbegehren müssen ernst genommen werden. Sie dürfen weder schubladisiert noch parteipolitisch vereinnahmt werden." Zwar könne man das Beispiel der Schweiz nicht unbesehen auf Österreich übertragen. Aber: "Wir sollten auch bei uns mehr direkte Demokratie wagen."
Neue Arbeitsgruppen brauche man nicht
Überlegungen zum Wahlrecht gebe es, so Holzinger, schon seit Ende der 1960er-Jahre. Nun gelte es endlich, "dieses Mal das Vorhaben einer Demokratiereform tatsächlich und rasch zu realisieren". Neue Arbeitsgruppen brauche man dazu nicht, nur "entsprechenden Reformwillen". Und bis zur nächsten Nationalratswahl im Herbst 2013 sei "noch genügend Zeit, eine 'Demokratiereform' zu beschließen, die diese Bezeichnung wirklich verdient". (APA, 12.5.2012)