Rundumblick über den Heldenplatz.

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Vor allem an der Krypta im Äußeren Burgtor hat sich ein Streit über Österreichs Gedenkkultur entzündet.

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Wien - Wien sei in seinen Augen eine Perle, und er werde sie in jene Fassung bringen, die dieser Perle würdig sei. Das versprach Adolf Hitler am 9. April 1938, einen Tag vor der Volksabstimmung, bei der 99,73 Prozent für den Anschluss ans Deutsche Reich votierten. Wirklich ernst nahm der Diktator seine Worte nicht: Er fand Wien, die "Kanakenstadt", in der er als "Kunstmaler" wenig zu lachen hatte, eh ganz in Ordnung. Daher fand sich Wien auch nicht auf der Liste jener Städte, die Hitler 1941 für eine Neugestaltung auserkor.

In Wien schmiedete man dennoch grotesk große Pläne. Sie stammen u. a. von Hanns Dunstmann, den Gauleiter Baldur von Schirach im September 1940 als Baureferent nach Wien holte. Dunstmann radierte etwa die Leopoldstadt aus, in der viele Juden wohnten, um ein monströses " Gauforum" errichten zu können. Er machte sich auch Gedanken zum Heldenplatz, der gegenwärtig wieder als Gedächtnisort diskutiert wird. Dunstmann drehte die Ausrichtung um 90 Grad: von der Achse Michaelertor/Hofstallungen, also dem unvollendeten Kaiserforum, hin zur "Neuen Burg".

Neben der Ringstraße sollte, wie Ingrid Holzschuh in ihrem eben veröffentlichten Band Wiener Stadtplanung im Nationalsozialismus von 1938 bis 1942 (Böhlau-Verlag) erläutert, ein quadratischer Neubau errichtet werden, der als "Haus des Führers" zeitgenössische, also systemkonforme Kunst beherbergt hätte. Den Abschluss gegen den Volksgarten hin sollte eine Heldengedenkstätte bilden: Dunstmann schlug vor, den Theseustempel, 1823 von Pietro Nobile errichtet, abzutragen - und auf einen 30 Meter hohen Granitsockel zu stellen.

Im April 1942 forderte Speer auf, "die nichtkriegswichtigen Bauvorhaben unverzüglich stillzulegen", Dunstmann kehrte zurück nach Berlin. Nichts war realisiert worden. Und kaum etwas erinnert in Wien heute an die NS-Zeit - abgesehen von den sechs monströsen Flaktürmen. Die Drehung der Achse aber blieb: Als "Bühne" nahezu aller Veranstaltungen auf dem Heldenplatz dient die "Neue Burg", von deren Balkon aus Adolf Hitler am 15. März 1938 den Anschluss der "Ostmark" ans Dritte Reich verkündete.

Abgesehen davon, datieren die letzten baulichen Veränderungen auf dem Heldenplatz aus der Zeit des Austrofaschismus: 1933/34 wurde das Äußere Burgtor (neben dem Ring) von Rudolf Wondracek zum Heldendenkmal für die Opfer des Ersten Weltkriegs umgestaltet. 1935 entstanden links und rechts vom Burgtor die Pylonenportale mit Adlerskulpturen von Wilhelm Frass, der sich brüstete, illegaler Nationalsozialist gewesen zu sein. Im gleichen Jahr schuf Frass die Skulptur eines Toten Kriegers aus rotem Marmor für die Krypta im nordwestlichen Flügel des Heldendenkmals.

Zudem ist der Heldenplatz mit den Reiterstandbildern von Erzherzog Karl und Prinz Eugen von Savoyen, die zu den erfolgreichsten Feldherren der Monarchie zählen, eigentlich ein Ort der Demütigung: Er wurde angelegt, weil Napoleon 1809 die Burgbastei, die sich auf dem Gebiet des heutigen Heldenplatzes befand, sprengen ließ. Und im Revolutionsjahr 1848 wurde das Areal, damals der äußere Burgplatz, zum Schlachtfeld mit mehr als 2000 Toten.

Ist dieser befehdete Platz daher überhaupt ein geeigneter Ort des Gedenkens? Die Stadt Wien sucht derzeit, wie berichtet, einen Standort für ein Deserteursdenkmal. Fünf Orte wurden in die engere Wahl gezogen, darunter der Ballhausplatz und auch der Heldenplatz. Harald Walser von den Grünen setzt sich für das Projekt ein - und plädiert für eine komplette Neugestaltung des gesamten Heldenplatzes. Er nahm daher mit Heinz Fischer Kontakt auf.

"Zeitgemäße Gedenkkultur"

Und der Bundespräsident antwortete: "Im Übrigen möchte ich Ihnen zustimmen, dass - über den konkreten Anlass hinausgehend [eines Desserteursdenkmals] - das gesamt Ensemble des Heldenplatzes im Hinblick auf eine zeitgemäße Gedenkkultur Gegenstand von politischen, historischen und städteplanerischen Überlegungen werden sollte. Wahrscheinlich nimmt eine solch umfassende Betrachtung und Erneuerung einen längeren Zeitraum in Anspruch, was allerdings keineswegs gegen eine derartige Herangehensweise spricht." Er, Fischer, werde, wo es sinnvoll erscheint, seinen Standpunkt einbringen.

Im Zentrum des aktuellen Streits steht die Krypta. Als Mitglied der Militärhistorischen Denkmalkommission des Verteidigungsministeriums hat der Historiker Peter Pirker "vor längerer Zeit vorgeschlagen, die gesamte Nutzung des ,Heldendenkmales' neu zu diskutieren" - vor allem durch das Bundesheer. "Eine vorübergehende Schließung wäre eine Möglichkeit, einen Bruch zu symbolisieren", sagt er. Pirker schränkt aber auch ein: Der Bruch müsse weniger in der Architektur, sondern im Denken und Handeln stattfinden. "Von einer Schleifung halte ich nichts, man sollte es historisieren", sagt er.

Auch der Grazer Historiker Stefan Karner warnt: "Jetzt alles zu schleifen, was aus heutiger Sicht bedenklich erscheint - zu Recht oder zu Unrecht -, ist aus meiner Sicht nicht zielführend." Generell sei er dafür, dass "man historische Denkmäler, wenn es denn notwendig ist, kontextualisiert, also in einer entsprechenden Form dazuschreibt, welche Bedeutung das damals hatte und wie es heute gesehen wird".

"Kein Denkmalabreißer"

Ein Zeichen, das den veränderten Umgang sichtbar macht, fordert auch die Historikerin der Akademie der Wissenschaften, Heidemarie Uhl, ein. Wie Karner - "Ich bin kein Bilderstürmer und kein Denkmalabreißer" - will auch Uhl mit Zusatzinformationen arbeiten: Es gehe nicht darum, die Krypta "als historisches Denkmal komplett zu verändern oder zu zerstören. Das kann eine Inschrift sein, ein Plakat, das zeigt, wie die heutige Republik mit dieser Zeit umgeht." Lange zuwarten könne man aber nicht mehr: "Weder die Bundesregierung noch der Bundespräsident werden wohl eine Freude haben, nach dieser öffentlichen Diskussion dort noch einen Kranz niederzulegen."

Auch der Wiener Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny (SP) meint, "dass es an der Zeit wäre, das Burgtor neu zu gestalten. Man sollte diesen zentralen Ort, der immer wieder für symbolische Akte der Republik genutzt wird, neu definieren. Und man sollte sich Gedanken machen, wie die Betonflächen links und rechts genutzt werden können." Mailath nahm Gespräche mit dem Verteidigungsministerium und der Burghauptmannschaft auf. "Ich glaube, dass dort das Deserteursdenkmal einen Platz finden kann." Zudem kann er sich einen Gedächtnisort für die Februarkämpfer des Jahres 1934 vorstellen. (Peter Mayr/Thomas Trenkler, DER STANDARD, 12.5.2012)