Unser aktueller Nationaltrainer Marcel Koller hat kurz nach seinem Amtsantritt auf die Frage, was er denn bis jetzt über die Österreicher gelernt habe, gemeint: "Die raunzen gern."

Typisch österreichisch

Damit kommt er dem Kern der Sache schon sehr nahe, denn die manische Depression, die von Fans, den Medien und offiziellen Vertretern des österreichischen Fußballs leidenschaftlich gelebt wird, macht es schwer, sich eine objektive Sichtweise auf den Zustand des österreichischen Fußballs zu erhalten. "Wödmasta" oder "alles oasch", dazwischen bleibt bei uns kaum Platz für Abstufungen.

Die Nationalmannschaft holt in der EM-Qualifikation aus den ersten drei Partien gegen die schwächsten Gruppengegner mit Ach und Krach vertretbare sieben Punkte, und ganz Österreich plant schon die Reise nach Polen, verliert die beiden Duelle mit der direkten Konkurrenz, und wir stehen wieder vor dem Aus. In der Europa-League-Gruppenphase spielen unsere drei Vertreter am ersten Spieltag gegen die nominell stärksten Gegner und holen folgerichtig null Punkte, die Alpenrepublik versinkt in Scham. Zwei Wochen später tritt das genaue Gegenteil ein (leichteste Gegner, neun Punkte), und wir notieren uns schon heimlich den Finaltermin in Bukarest.

Da passt es nur zu gut ins Bild, dass wir die Vorstellungen in unserer Liga nicht mit passenden Größen wie der tschechischen Gambrinus-Liga oder der Schweizer ASL vergleichen, sondern wenn schon, dann gleich mit der Premier League, der deutschen Bundesliga oder gar dem Champions-League-Halbfinale.

Setzen wir doch gleich einmal bei diesem Problem der falschen Selbsteinschätzung an.

"Experten" statt Experten

Es kommt mir so vor, dass in allen anderen (National-)Sportarten außer Fußball die heimischen Medien (hier ist vor allem der Österreichische Rundfunk hervorzuheben) den Konsumenten diverse Hintergrundinformationen liefern und sich mit taktischen und strategischen Fragen oder gar Materialdiskussionen auseinandersetzen. Experten oder ehemalige Sportler werden als Co-Kommentatoren eingesetzt, die das Geschehen live beschreiben.

Nur im Fußball muss man in die Weiten des Internets eindringen, um zu Spielen taktische Nachbetrachtungen zu erhalten. Warum begnügt man sich im Fußball mit eher hohlen Phrasen einiger "Experten", die irgendwo irgendwann einmal erfolgreich gespielt haben, von der internationalen Entwicklung des Fußballs seither aber scheinbar nicht viel mitbekommen haben.

Freunderlwirtschaft

Dazu kommt, dass es bei den Analysen der Fußball-Kommentatoren in Print und TV offenbar nicht unerheblich ist, ob ein Trainer der betreffenden Mannschaften zum persönlichen Freundeskreis der Journalisten gehört oder nicht. Diese Freundschaft schlägt sich meiner Meinung nach nicht nur in der Berichterstattung nieder, sondern leider auch in Trainerbestellungen. Ich gehe sogar so weit, diese Freundschaften für die in letzter Zeit gern diskutierte Trainerausbildung in Österreich verantwortlich zu machen. Die Trainerausbildung ist ein Punkt, bei dem sich ein Blick zum deutschen Nachbarn wirklich lohnen würde: Die höchste Stufe der Trainerausbildung, die UEFA-Pro-Lizenz, umfasst in Österreich 400 Unterrichtseinheiten, in Deutschland dagegen 44 Wochen zu je 35 bis 40 Wochenstunden.

Verstärkt wird die oft fragwürdige Trainerauswahl noch dadurch, dass sich viele Vereinsverantwortliche in der Trainerfrage von Namen blenden lassen, anstatt sich mit der Arbeitsweise und den Erfolgen der Kandidaten, die sie als Trainer erbrachten, auseinanderzusetzen. Die Bestellung Marcel Kollers zum Teamchef muss vor diesem Hintergrund als Quantensprung bezeichnet werden.

Lehrlinge am Chefsessel

So kommt es, dass in der Bundesliga (Gludovatz und Foda noch eingerechnet) die Hälfte der Trainer noch aufgrund ihrer Nationalteamauftritte bekannt sind - was ja an sich noch nichts Schlechtes ist - und maximal seit zehn Jahren eine Trainertätigkeit ausüben, ja Vastic überhaupt erst seit 2009.

Damit wird die erste Leistungsstufe quasi zum Probierfeld medialer Lieblinge.

"Des woa scho immer so"

Für gröbere Veränderungen zeigt sich die Liga allgemein nicht wirklich offen. Es wird darüber lamentiert, dass der Terminkalender zu eng sei, Österreich nicht stark genug für 20 Profivereine, der Cup durch die Amateure verwässert werde und so weiter und so fort.

Anstatt kosmetische Eingriffe vorzunehmen, sollte man versuchen, mit einer größeren Reform viele Fliegen mit einer Klappe zu schlagen, zum Beispiel so: eine Bundesliga mit 16 Teams, darunter direkt die Landesligen, und die Amateurmannschaften könnten immer parallel zur Kampfmannschaft spielen.

Dadurch sparte man sich sechs Runden, der Terminkalender wäre entlastet, die Amateure kosteten die Gegner weder wertvolle Zuschauerzahlen noch wären sie sportlich unterfordert. Die Landesligen würden durch die zusätzliche sportliche Klasse und die kurzen Strecken um einiges interessanter, der Aufstieg erfolgte nur über ein Play-off und ein strenges Lizenzierungsverfahren. Mittelständer in der Bundesliga könnten sich bei günstiger Tabellensituation schon mehrere Runden vor Schluss auf ihre Weiterentwicklung konzentrieren, wie heuer beispielsweise Walter Kogler bei Wacker Innsbruck mit dem Versuch eines 4-3-3 in letzter Zeit. Und der gesamte Profifußballbereich könnte rechtemäßig als Gesamtpaket verkauft werden.

Gegen jegliche Tradition könnte man dafür ausnahmsweise eine professionelle Ausschreibung in Angriff nehmen, nach Vorbild - wie könnte es anders sein - Deutschlands. Rapid im Free-TV ist kein Menschenrecht, wer Fußball live erleben will, soll im Stadion oder Pay-TV den Vereinen auch ihren Anteil zukommen lassen. Eine gut überlegte Fußballshow könnte das Wissen momentaner Live-Übertragungen im ORF locker in fünf Minuten ansprechender Analyse vermitteln, außerdem sieht auch der letzte "Hundskick" in einer Zusammenfassung der wenigen Lichtblicke deutlich besser aus als live.

Der österreichische Fußball leidet nicht unter einem großen Problem - es sind mehrere kleine Problemchen und Tendenzen, die das Niveau nach unten drücken. Das waren wohl noch lange nicht alle. (Leserkommentar, Peter Steinbichler, derStandard.at, 17.5.2012)