Die Europäische Zentralbank sei blind für die Probleme in der Eurozone gewesen, kritisiert Ökonom Bofinger. Die Währungshüter sollten mehr auf Finanz- statt ausschließlich auf Preisstabilität achten.

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Demonstration gegen den Kurs der EZB in Frankfurt im vergangenen Jahr.

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Der deutsche Wirtschaftsweise Peter Bofinger fordert einen europäischen Finanz- statt Fiskalpakt. Er kritisiert die harte Sparpolitik der Eurozone und die Blindheit der EZB.

STANDARD: Wie sollte die Eurozone auf das griechische Votum gegen die Sparpolitik reagieren?

Bofinger: Griechenland und die Eurozone spielen ein "Game of Chicken" (ein Feiglingsspiel, Anm.). Die Frage ist, wer zuerst nachgibt. Jetzt die Prinzipientreue durchzusetzen und kein Geld mehr nach Griechenland zu schicken, halte ich nicht für zielführend. Am Ende hätte der Euroraum den Schaden. Denn die Gefahr einer Kettenreaktion besteht, dass andere Länder unter Druck geraten und man am Ende vor einem Scherbenhaufen steht.

STANDARD: Was ist die Alternative?

Bofinger: Man sollte sich mit den Griechen zusammenzusetzen. Denn sie haben recht. Das extreme Sparen bringt auch nichts. Wir brauchen eine Lösung, bei der beide Seiten das Gesicht wahren können, etwa indem Programme vorgestellt werden, mit denen die Jugendarbeitslosigkeit gesenkt wird.

STANDARD: Aber am Sparen kommt man doch nicht vorbei?

Bofinger: In den Problemländern hat die jüngste Sparrunde die Konjunktur abgewürgt. Wir agieren viel zu prozyklisch, die Problemländer sparen sich zu Tode. Das müssen wir stoppen, auch wenn die Defizite kurzfristig höher ausfallen werden.

STANDARD: Soll der Fiskalpakt ad acta gelegt werden?

Bofinger: Viel wichtiger als ein Fiskalpakt wäre ein Finanzpakt. Denn Spanien und Irland wären bis 2008 durch den besten Fiskalpakt der Welt durchgekommen. Dort haben sich Kreditblasen aufgebaut, und die private Verschuldung ist explodiert, nicht die öffentliche. Wir müssen die Banken auf europäischer Ebene beurteilen und brauchen einen einheitlichen Maßstab dafür, ob Institute gut oder schlecht sind. Die schlechten sind zu rekapitalisieren oder müssen verstaatlicht werden. Wir müssen Europas Finanzaufsicht integrieren.

STANDARD: Es gibt doch bereits eine solche Institution.

Bofinger: Die Europäische Bankenaufsicht EBA reicht nicht aus, weil sie keine eigenen Daten hat. Sie kann immer nur Vorschläge machen, sie kann aber keinen einzelnen Banken Vorgaben machen, all das fehlt. Eine europäische Institution würde eine Situation wie in Irland verhindern, wo die Bankbehörden mit der Industrie so eng verflochten war, dass niemand dem anderen auf die Füße getreten ist. Die letzten zehn Jahre haben gezeigt, dass die nationale Bankenaufsicht keine gute Lösung für eine Währungsunion ist. Die EZB ist die einzige handlungsfähige Institution gewesen. Wenn die Zentralbank die Banken in den Problemländern nicht refinanzieren würde, hätten diese schon zumachen müssen.

STANDARD: Aber übersteigt die EZB nicht ihr Mandat der Preisstabilität in der Eurozone?

Bofinger: Das ist viel zu eindimensional. Wir brauchen ein neues Mandat für die EZB. Das muss die Finanzstabilität inkludieren. Die EZB ist in der Vergangenheit mit Scheuklappen durch die Welt gelaufen. Jean-Claude Trichet (EZB-Chef von 2003 bis 2011, Anm.) war am Ende seiner Amtszeit stolz, dass die Inflation in der Zeit der EZB bei 1,97 Prozent lag. Damit hätte die EZB ihr Ziel erfüllt, argumentierte er. Aber gleichzeitig ist der Zentralbank doch die Währungsunion um die Ohren geflogen. Dass hinter den schönen Zahlen zur Teuerung ein Kreditzyklus in Gang war, wurde übersehen. Die EZB war dafür blind.

STANDARD: Wie soll die EZB künftig für Finanzstabilität sorgen?

Bofinger: Dafür braucht sie auch Instrumente: etwa länderspezifische Eigenkapitalanforderungen. Sie muss sich die Kreditentwicklung gezielt ansehen, auch auf Ebene der einzelnen Länder. Dann muss man etwa die Zinsen erhöhen oder länderspezifische Risikogewichte einführen und die Banken zu mehr Kapitalhaltung verpflichten. Das wäre eine Lösung gewesen, dass etwa Kredite in Irland und Spanien mit einem doppelten Risikogewicht versehen werden.

STANDARD: Die EZB hatte mit der Finanzspritze für Europas Banken die Märkte zwischenzeitlich beruhigt. War der Schritt richtig?

Bofinger: Die EZB hätte direkter intervenieren müssen. Eigentlich wäre es besser, die EZB garantiert, dass die Zinsen auf Staatsanleihen einen bestimmten Schwellenwert nicht überschreiten. Denn mit der Finanzierung für die Banken ist die Vernetzung von Banken und Staat noch enger geworden. Italienische und spanische Banken haben viele Staatsanleihen gekauft. Wenn es also in Spanien wieder in den Regionen Probleme gibt, und damit bei den Banken, trifft das erneut den Staat und dann wieder die Banken.

STANDARD: Staatsanleihen werden in Basel III, dem Regelwerk zur Bankenkapitalisierung, als sicher angesehen. Wie passt das mit der Schuldenkrise zusammen?

Bofinger: Gar nicht. Entweder wir müssen Basel III neu machen. Oder Europa versucht, die Staatsanleihen wieder sicher zu machen. Dafür plädiere ich. Das Finanzsystem braucht sichere Aktiva, dazu würden auch gemeinsame Anleihen im Sinne eines Eurobond zählen. Wir müssen einen großen Pool an sicheren Assets schaffen und das Insolvenzrisiko aus den Staatsanleihen herausnehmen. Das ist der Vorteil des US-Bankensystems: Die US-Staatsanleihen sind alle sicher, obwohl Defizit und Schuldenstand schlechter sind als bei uns. (Lukas Sustala, DER STANDARD, 11.5.2012)