Genf/New York - Der Syrien-Sondergesandte von UNO und Arabischer Liga, Kofi Annan, hat an die Weltgemeinschaft appelliert, das Land nicht in einen Bürgerkrieg abgleiten zu lassen. Zwar habe das Militär seine Aktivitäten etwas eingeschränkt, aber das Ausmaß der Gewalt sei noch immer nicht hinnehmbar, sagte der ehemalige UNO-Generalsekretär am Dienstag in Genf. Annan, der den Weltsicherheitsrat in New York per Video über die Lage in Syrien informierte, warnte eindringlich vor einem möglichen Scheitern des von ihm vermittelten Friedensplans: "Wenn er ohne Erfolg bleibt und ein Bürgerkrieg ausbricht, beträfe es nicht nur Syrien sondern hätte enorme Auswirkungen auf die gesamte Region."

Nach Einschätzung des Roten Kreuzes haben die Kämpfe in einigen Landesteilen den Charakter eines Bürgerkriegs. Der Chef des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK), Jakob Kellenberger, erklärte, die Gewalt in Homs und Idlib habe im Laufe des Jahres die drei Kriterien seiner Organisation für einen derartigen Konflikt erfüllt: Intensität, Dauer und der Organisierungsgrad der Rebellen. Allerdings gelte dies nicht für das ganze Land, sagte er der Nachrichtenagentur Reuters. Die Einteilung ist von juristischer Bedeutung, weil sich nach internationalem Recht in einem Bürgerkrieg für beide Parteien gewisse Pflichten ergeben.

US-Unterstützung für Rebellen

Kellenberger bat zudem um mehr Unterstützung für die Arbeit des IKRK in Syrien. Die Zahl der hilfsbedürftigen Menschen habe dort sehr stark zugenommen, sagte er vor Journalisten. Dies sei nicht nur eine Folge der Kämpfe, sondern auch der Isolierung des Landes durch die internationalen Sanktionen.

Die US-Botschafterin bei der UNO in New York, Susan Rice, kündigte an, ihre Regierung werde die Unterstützung der Rebellen verstärken. Allerdings beinhalte dies weiterhin keine Beihilfen zur Tötung von Gegnern. Ihr russischer Kollege sieht dagegen eine positive Entwicklung in Syrien: "Die Angelegenheit bewegt sich in die richtige Richtung", sagte Witali Tschurkin. Es gebe noch immer viele Hindernisse, diese seien aber zu überwinden.

In Syrien tobt seit 14 Monaten ein Aufstand gegen Präsident Bashar al-Assad. Dabei sind nach Schätzungen der Vereinten Nationen mehr als 9.000 Menschen ums Leben gekommen. Ein Waffenstillstand zwischen den Aufständischen und der Regierung hat nicht gehalten. Die anhaltenden Kämpfe haben die Furcht vor einem Ausbruch eines landesweiten Bürgerkriegs geschürt.

Sechs-Punkte-Plan

Nach Angaben aus der Mineralölwirtschaft ist seit vier Wochen kein Diesel mehr in syrische Häfen angeliefert worden. Während noch im März bis zu neun Lieferungen mit je etwa 30.000 Tonnen Treibstoff verzeichnet wurden, seien im April nur noch zwei zum Monatsanfang eingetroffen. Betroffen seien nicht nur Importe aus Ländern wie Russland, sondern auch aus dem Iran. Ein Lieferant mit Sitz in Marokko verwies auf die EU-Sanktionen als Grund für den Handelsstopp. Warum dieser sich offenbar auch auf Lieferungen aus dem befreundeten Iran erstreckte, war zunächst unklar. Syrien fördert zwar Erdöl und verfügt über zwei Raffinerien. Allerdings kann es seinen eigenen Bedarf an Treibstoff nicht decken.

Annan will nach Angaben des britischen UN-Botschafters Mark Lyall Grant in den kommenden Tagen nach Damaskus kommen. Ein genaues Datum stehe aber noch nicht fest, sagte der britische Diplomat am Dienstag. Annan war erst einmal im März zu Beginn seiner Vermittlungsmission in die syrische Hauptstadt gereist. Sein Sechs-Punkte-Plan zu einer Befriedung des Landes sieht neben einer Waffenruhe die Entsendung einer UNO-Beobachtermission sowie die Aufnahme politischer Gespräche vor. In der Videoschaltung nach New York verteidigte Annan am Dienstag erneut seine Mission, warnte aber, dass sie nicht "unbegrenzt" andauern könne. Die derzeit rund 60 unbewaffneten Militärbeobachter hätten zu einer Beruhigung der Lage beigetragen, sagte Annan später vor Journalisten in Genf. Die für Ende des Monats geplante Ausweitung der Mission auf 300 Mann werde eine noch größere Wirkung haben. Annan kritisierte die von der syrischen Führung am Montag abgehaltenen Parlamentswahlen und schloss neue Wahlen nach einem erfolgreichen Dialog mit der Opposition nicht aus.

Beobachtermission

UNO-Generalsekretär Ban Ki-moon warnte in Washington vor einer Eskalation. Trotz der UNO-Beobachter gehe Damaskus weiter mit massiver Gewalt gegen die Bevölkerung vor, und auch die Regierungsgegner hätten ihre Angriffe ausgeweitet. Ban schloss nicht aus, dass Damaskus die Präsenz der Beobachter nutze, "um weitere Gewalt vorzubereiten". Der türkische Regierungschef Recep Tayyip Erdogan forderte, die Zahl der UNO-Beobachter auf "1.000, 2.000, vielleicht 3.000" aufzustocken.

Die deutsche Bundeswehr will sich nach einem Bericht von "Spiegel Online" mit bis zu zehn Soldaten an der UN-Beobachtermission beteiligen. Das Bundeskabinett werde dazu in Kürze einen Beschluss fassen, berichtete das Magazin. Sprecher des Verteidigungs- und des Außenministeriums sagten auf Anfrage der Nachrichtenagentur AFP, eine Entscheidung sei noch nicht getroffen worden. (APA/Reuters, 8.5.2012)