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Oftmals tut sich psychische Gewalt auf, ohne dass sich Eltern dessen bewusst sind.

Eine aktuelle Meldung aus Salzburg über eine vermutete Kindesmisshandlung an einem neun Monate alten Baby wird in den kommenden Tagen eine ganz besondere Betroffenheit bei vielen Menschen auslösen. (Das Baby aus dem Flachgau wurde mit schweren Verletzungen ins Landeskrankenhaus gebracht. Die behandelnden Ärzte sprechen von einem "hochgradigen Verdacht auf Misshandlung".)

Wie ist es möglich, Missbrauch rechtzeitig aufzudecken?

Alleine die Tatsache, dass ein Säugling Beinbrüche und Gesichtsverletzungen erlitten hat, macht betroffen. Die Frage, wie es zu diesen schweren Verletzungen kommen konnte, wird nun SozialarbeiterInnen, PsychologInnen, ÄrztInnen und PflegerInnen, aber natürlich auch die Polizei beschäftigen.

Ich habe gestern mit Studierenden des Studienganges für Soziale Arbeit intensiv darüber diskutiert, wie es möglich ist, schwere Misshandlungen an so kleinen Kindern erkennen und aufdecken zu können.

Denn oftmals können die Verletzungen von Außenstehenden nicht bemerkt werden, da sie hinter der Kleidung versteckt sind. Blaue Flecken, Striemen, Verbrennungen, Kratz- oder Beißspuren finden sich oftmals an Körperstellen, die mit freiem Auge nicht erkennbar sind. Sie finden sich am Po, am Rücken, am Oberarm, am Hinterkopf.

Manchmal finden sie sich aber auch im Gesicht wieder; in Form von eingerissenen Mundwinkeln, verursacht durch Gegenstände, die dem Kind in den Mund gesteckt werden, damit es endlich aufhört zu schreien. Oder es lassen sich blutunterlaufene Augenringe ausmachen, die von einem Erstickungsversuch des Kindes rühren könnten. Im Unterricht war unschwer zu erkennen, dass Studierende den Kopf schütteln und oftmals kaum nachvollziehen können, wie es möglich ist, Kindern derartige Schmerzen zuzufügen.

Wie Eltern zu Tätern werden

Die Forschung belegt und zeigt uns, dass dies möglich ist. Dass es möglich ist, dass Mütter nicht in der Lage sind, ihre Kinder vor Misshandlern zu schützen.

Sie zeigt uns aber auch, dass Mütter in der Lage sind, ihre Kinder schwer zu misshandeln.

Eltern, die mit ihren (Kleinst-)Kindern massiv überfordert sind, die das stundenlange Schreien des Babys nicht mehr ertragen, die den Mehraufwand, den das Kind mit sich bringt, nicht bewältigen können, werden zu Tätern. Wie das geht? Was da an Dynamik passieren muss? Ich werde versuchen, es zu erklären.

In Beratungsgesprächen mit Eltern höre ich immer wieder folgende Erklärungen für stattgefundene Misshandlungen. "Ich wollte dem Kind zeigen, dass ich die/der Stärkere bin und es schaffe, es zum Schweigen zu bringen. Ich wollte das Kind nicht so schwer verletzen, es sollte nur endlich mal ruhig sein und meinen Anweisungen folgen. Ich hatte selbst eine schwere Kindheit und habe die Schläge meines Vaters auch ertragen. Und abgesehen davon hätte ich nicht gewusst, an wen ich mich wenden soll, wer mich, wer uns hätte unterstützen können."

Was ist schon dabei?

Eigentlich sind es immer die Eltern, die uns mit ihren Aussagen wertvolle Botschaften liefern. Nämlich dass Elternberatung dringend angezeigt und notwendig ist. Eltern müssen beraten und wenn notwendig auch begleitet werden, sie brauchen Erfahrungsaustausch mit anderen Eltern, der angeleitet werden muss. Und oftmals benötigen sie Aufklärung und Information. Sie müssen wissen, dass ein Kind nicht ohne Grund weint und schreit. Sie müssen wissen, dass es Möglichkeiten gibt, ein Kind zu beruhigen.

Mein Berufsalltag zeigt mir immer wieder aufs Neue, wie unwissend Eltern sind, wie rat- und hilflos. Oftmals tut sich psychische Gewalt auf, ohne dass sich Eltern dessen bewusst sind. Was ist schon dabei, auch ein Baby anzuschreien und es aufzufordern, den Mund zu halten? Was ist schon dabei, das Kleinstkind einige Stunden alleine in seinem Zimmer verbleiben zu lassen? Es muss auch mal lernen, sich selbst zu beschäftigen, oder?

Das Kind soll endlich ruhig sein ...

Oft ist der Schritt zur körperlichen Gewalt ein ganz kleiner. Ein kurzer heftiger Schlag ins Gesicht des Babys, und plötzlich war es tatsächlich ruhig.

Wenn derartige Erziehungsmaßnahmen kurzfristig ihr Ziel erreichen, dann werden sie von Eltern als erfolgreich eingestuft. Wenn das Baby dann aber doch wieder zu schreien beginnt und lauter und heftiger brüllt als zuvor, ist der nächste Schritt zur schweren Misshandlung oftmals nicht aufzuhalten.

Nach den Schlägen folgen heftigere Verletzungen wie Brüche oder Verbrennungen. Das Kind wird zum Objekt, zum Feind. Eltern fühlen und spüren nicht(s) mehr, können nicht empathisch sein, es geht darum, das Kind ruhigzustellen. Es geht darum, den Kampf zu gewinnen. Das Kind kann dabei nur verlieren. Kurz- und langfristig. ProfessionistInnen kämpfen nun hoffentlich einen erfolgreichen Kampf für ein gewaltfreies künftiges Leben des neun Monate alten Kindes. (Beatrix Kaiser, derStandard.at, 9.5.2012)