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Fast die Hälfte aller krebskranken Kinder leiden an einer Leukämie.

Foto: APA/Goldnagl

Erkrankt ein Kind an Krebs, sind die Eltern schockiert und die Frage taucht auf, wie es in diesem Alter dazu kommen kann, wo doch Risikofaktoren wie ungesunde Ernährung, UV-Strahlung und Rauchen noch keinerlei Rolle spielen.

Aber egal ob Kinder oder Erwachsene, der Krebs macht es Naturwissenschaftlern generell nicht leicht. Genau genommen handelt es sich nämlich nicht um eine Erkrankung, sondern um sehr viele verschiedene. Der Krebs passt in kein Schema, er ist ein Individuum, so individuell wie jeder betroffene Patient.

Alterserkrankung

Statistisch betrachtet ist er jedoch eine Erkrankung des Alters, sprich: je älter der Mensch, umso höher das Risiko, an Krebs zu erkranken. Der Grund dafür ist nachvollziehbar: Über viele Jahre hinweg sind die menschlichen Gene einer Reihe schädlicher Umwelteinflüsse ausgesetzt. UV-Strahlung, Tabak- und Alkoholkonsum und eine Reihe von Nahrungsinhaltsstoffen summieren sich und erhöhen die Chance einer Zellentartung, vor allem in Geweben, die den Noxen besonders ausgesetzt sind, wie Magen-Darm-Trakt und Atemwege. 

All das spielt bei Kindern eine untergeordnete Rolle, trotzdem ist Krebs im Kindesalter die zweithäufigste Todesursache. "Bestimmte Wachstums- und Differenzierungsfaktoren, die im Kindesalter nicht regelhaft ablaufen, können dazu führen, dass Krebs entsteht", sagt Simone Fulda, Direktorin des Frankfurter Instituts für experimentelle Tumorforschung.

Akute Leukämie

250 Kinder und Jugendliche erkranken in Österreich jährlich an Krebs, 80 bis 100 davon leiden unter akuten Leukämieformen, der häufigsten malignen Erkrankung im Kindesalter. Viele Betroffene überleben heute. Eine positive Entwicklung, die allerdings mit der Einschränkung verbunden ist, dass die Behandlungserfolge zwischen den unterschiedlichen Leukämieformen ganz enorm sind. Während eine akut lymphatische Leukämie in 70 Prozent aller Fälle dauerhaft besiegt wird, ist die Prognose einer akut myeloischen Leukämie derzeit noch wesentlich ungünstiger. 

Fulda versucht seit knapp 16 Jahren mit ihrer Arbeitsgruppe das Rätsel um die Entstehung von Krebs im Kindesalter zu lösen. Gemeinsam mit ihrem Team erforscht sie den programmierten Zelltod - die sogenannte Apoptose. Jede gesunde Körperzelle besitzt dieses eigene "Selbstmord-Programm". Es wird aktiviert, sobald es zu fehlerhaften Abläufen kommt. "Zellen entarten erst, wenn dieses Programm nicht mehr funktioniert", erklärt Fulda. Zwar ist dieser Mechanismus sämtlichen Krebserkrankungen gemeinsam, jedoch funktioniert er tumorspezifisch und muss daher auch separat in den verschiedenen Tumoren untersucht werden.

Personalisierte Therapie

"Die Zukunft der Onkologie liegt in der personalisierten Behandlung", betont Fulda. Dass nicht jeder Leukämiepatient nach dem Schema F therapiert werden kann, ist schon länger bekannt, allerdings waren sich Wissenschaftler über lange Zeit nicht der molekularen Besonderheiten einzelner Tumore bewusst. "Wenn man versteht, was schiefläuft, kann man auch gezielt in Prozesse eingreifen und maßgeschneiderte Behandlungen anwenden, die genau den richtigen Patienten zugutekommen", ergänzt die Expertin. 

Konkret will die Wissenschaftlerin Strategien finden, um das Zelltodprogramm zu reaktivieren. Dass dieses Vorhaben auch Erwachsenen zugutekommen wird, ist unbestritten, jedoch hat sie als ehemalige Kinderärztin und Kinderonkologin ihren Fokus auf Kinder gelegt. Zu ihren Forschungsinteressen gehört es, in der Natur nach Pflanzen zu suchen, die in der Lage sind, Zelltodmechanismen zu beeinflussen. Einer dieser Naturstoffe ist die Betulinsäure. Diese Substanz findet sich in der Rinde von Platanen und Birken und könnte vor allem Kindern mit Hirntumoren Heilungschancen bringen. 

Bösartige Erkrankungen im Gehirn und Rückenmark bilden eine große Gruppe solider Tumore im Kindesalter, und die Prognose ist in vielen Fällen nach wie vor schlecht - vor allem deshalb, weil viele Tumore nicht operabel sind. Im Labor hat die Betulinsäure ihren tödlichen Effekt auf Tumorzellen bereits bewiesen. Nun sind klinische Studien geplant. Patienten mit Neuro- und Glioblastomen sollen von der Wirkung der Betulinsäure profitieren. Was das Zytostatikum zusätzlich auszeichnet: Die Betulinsäure hat nur geringen Einfluss auf gesunde Zellen und könnte verglichen mit anderen zytostatischen Substanzen weniger Nebenwirkungen hervorrufen. (Regina Philipp, derStandard.at, 8.5.2012)