Kann sich der Entwurf des EU-Konvents für die künftige Gestaltung der Union gegen nationale Interessen behaupten? Bereits am Donnerstagabend hat das große Feilschen begonnen.
Was die 105 Verfassungsväter und die im EU-Konvent nur spärlich vertretenen Verfassungsmütter befürchtet haben, ist im Handumdrehen eingetroffen. Noch ehe sie Mitte Juli ihre Unterschrift unter den mühsam erarbeiteten Text für eine europäische Verfassung setzten werden, sind die Regierungschefs der EU schon dabei, ihn zu verwässern.
Der erste Akt wird beim Gipfel der Staats- und Regierungschefs der EU eingeleitet, der Donnerstagabend in Porto Karras auf der griechischen Halbinsel Chalkidike begonnen hat.
Was gespielt wird, zeigt sich wie so oft anhand von Kleinigkeiten. Konventspräsident Valéry Giscard d'Estaing wollte bei der Regierungskonferenz, die im Oktober einberufen wird und voraussichtlich bis Mai über den Verfassungsentwurf zu entscheiden hat, mit am Tisch sitzen. Der griechische Ratspräsident Costa Simitis gab ihm jedoch diskret zu verstehen, dass er in dieser Runde nicht erwünscht sei.
Uneinig sind sich die Regierungschefs auch in der Einschätzung des Verfassungstexts. Gerungen wird um die Formulierung, ob der Text ein "Ausgangspunkt", eine "gute Basis" oder eine "gute Ausgangsbasis" für die Regierungskonferenz ist. Selbst über die Redezeit beim Gipfel zur Verfassung wird gestritten. Die künftigen EU-Länder fühlen sich benachteiligt, weil sie nur zwei und nicht wie die Vertreter der 15 alten Mitglieder fünf Minuten sprechen dürfen. Das in der "alten" EU übliche Feilschen um nationalen Einfluss und Macht feiert in der hehren Runde somit wieder fröhliche Urständ.
Heftig gerungen wird weiter um die Installierung des EU-Ratspräsidenten, der im Verfassungsentwurf mit wenig Kompetenzen ausgestattet wurde. Die Befürworter des Ratspräsidenten unter den Regierungschefs wollen ihn "stark" machen, seine Gegner ihn naturgemäß "klein" halten. Die Vertreter der Kommission finden sich im Verfassungsgefüge nicht genügend berücksichtigt und fordern mehr Rechte.
Heftig umstritten ist die qualifizierte Mehrheit in der Außen- und Sicherheitspolitik. Die Briten wehren sich mit Händen und Füßen gegen die Abschaffung des Vetos in diesem Bereich. Schließlich haben sie mit Zähneknirschen akzeptiert, dass durch die Verfassung das Veto in der Justizpolitik fällt.