Griechenland ist schon fast ein "gescheiterter Staat". Unter Failed State versteht die Politikwissenschaft Staaten, in denen die staatlichen Grundfunktionen nicht mehr aufrechterhalten werden können: Sicherheit, soziale Wohlfahrt und der Rechtsstaat. Failed States sind etwa Somalia, wo die Warlords und islamistische Milizen herrschen und die Piraterie die Hauptindustrie ist, oder Afghanistan, wo es wohl bald auch so ähnlich aussehen wird.

In Griechenland funktionieren die staatlichen Grundstrukturen irgendwie noch, wenn auch die sozialen Leistungen und der (überdimensionierte) Staatsapparat zurückgekürzt werden. Hellas ist aber wohl als Failing State einzuordnen, ein Land auf dem Weg in die Unregierbarkeit und Auflösung der Strukturen. Das ist in Europa neu und schon überhaupt in der EU bzw. der Eurozone. In Europa kann man sonst nur ein Land als Failed oder Failing State bezeichnen - Bosnien, das ohne internationale Militärpräsenz und Finanzhilfe auseinanderfallen würde.

Die Griechen haben ihr Land am Wahlsonntag ein Stück weiter auf diesem Weg befördert, indem sie linksradikale und neonazistische Parteien stärkten. Aber Umkehr ist immer möglich. Die kommunistischen Staaten Mittel- und Osteuropas waren vor 20 Jahren praktisch Failed States: politisch und ökonomisch. Heute sind Polen, Tschechien, die Slowakei und Slowenien ziemliche Erfolgsgeschichten. (Hans Rauscher, DER STANDARD, 8.5.2012)