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Erfolgsprovisionen für Berater sollten in öffentlichen Vergabeverfahren tabu sein, meint Korruptions-Staatsanwalt Walter Geyer.

Foto: REUTERS/Bader

Um Wirtschaftskriminelle wirksam zu verfolgen, fehle es in Österreich weiterhin an Personal, sagt Walter Geyer, Leiter der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA). Gleichzeitig stünden den Tätern zu viele Möglichkeiten offen, ihre Delikte zu vertuschen, meint Geyer im derStandard.at-Gespräch.

derStandard.at: Anfang 2010 meinten Sie, das Wasser stehe Ihrer Behörde "bis zum Mund". Wo steht das Wasser heute?

Geyer: Etwas tiefer. 2010 waren wir sieben Staatsanwälte, und wir sind damals überflutet worden mit Anzeigen, die kaum zu bewältigen waren. Seit September 2011 ist die WKStA per Gesetz nur noch für wenige, aber dafür große Fälle zuständig. Derzeit sind etwa 170 offene Verfahren anhängig, zum Teil sehr große - BUWOG, AKH, ÖBB und wie sie alle heißen. Zudem hat sich die Personalsituation etwas gebessert, heute stehen wir bei 17 StaatsanwältInnen, können aber nicht alle Planstellen besetzen.

derStandard.at: Wie viele StaatsanwältInnen haben Ihre Behörde verlassen, seit es sie gibt?

Geyer: Zwei KollegInnen haben vergangenes Jahr zu Gericht bzw. in das BMJ gewechselt. In nächster Zeit werden wir voraussichtlich zwei verlieren, weil gerade eine Ausschreibung der Oberstaatsanwaltschaft Wien im Gange ist, und da haben sich zwei KollegInnen beworben. Sie werden aber ersetzt.

derStandard.at: Warum ist es so schwer, StaatsanwältInnen für diese Aufgaben zu gewinnen? Anders gefragt: Wie schafft man es, den Job attraktiver zu machen?

Geyer: Über diese Frage denken wir intensiv nach, sie ist nicht leicht zu beantworten. Wirtschaftsstrafsachen sind sehr herausfordernd und mit normaler Kriminalität kaum zu vergleichen. Unsere KollegInnen stehen unter einem ziemlichen Druck, auch medial. Dafür Leute zu finden, die auch geeignet sind, ist schwierig. Da gehört ein guter Teil Idealismus dazu. Und ein wichtiger Faktor ist natürlich das Gehalt - etwas anderes zu behaupten wäre verlogen.

derStandard.at: Sollten StaatsanwältInnen in Ihrer Behörde mehr bezahlt bekommen als "normale" StaatsanwältInnen?

Geyer: Das war ursprünglich geplant. Als die KStA gegründet wurde, war vorgesehen, dass sämtliche Staatsanwälte bei uns das Gehalt der zweiten Instanz bekommen, weil wir ja auch in der zweiten Instanz tätig werden. Diese Regelung ist dann mit dem Korruptionsstrafrechtsänderungsgesetz 2009 relativiert worden. Das wäre wichtig, um einen Anreiz zu schaffen, damit eine gewisse Beständigkeit in zeitlicher Hinsicht eintritt, weil die Verfahren nicht in kurzer Zeit abgeschlossen sind. Dieses Problem betrifft auch die Wirtschaftsgruppe der Staatsanwaltschaft Wien.

derStandard.at: Das, was an Bezahlung fehlt, muss durch Idealismus ausgeglichen werden?

Geyer: Ja, auch. Generell gibt es derzeit zu wenige StaatsanwältInnen, daher können wir derzeit nur anderen Staatsanwaltschaften jemanden "wegnehmen", was den Personalmangel nicht behebt, sondern nur verlagert. Dazu kommt die lange Ausbildungszeit. Daher wird derzeit versucht, junge Rechtsanwälte zu motivieren, zur Justiz zu wechseln. Das funktioniert aber nur "tröpferlweise".

derStandard.at: Sie sagen selbst, dass die WKStA mit besonders komplexen Causen beschäftigt ist. Braucht es dafür nicht erfahrenere StaatsanwältInnen?

Geyer: Grundsätzlich ja, aber auch die jungen KollegInnen sind sehr tüchtig und erhalten überdies eine spezielle Ausbildung im Wirtschaftsbereich. Um 2008 hat bei den StaatsanwältInnen ein gewaltiger Generationenwechsel stattgefunden, bei der Staatsanwaltschaft Wien sind zwei Drittel der KollegInnen relativ jung. Das ist eine Folge der Pensionierungswellen, in Kombination mit der StPO-Reform, die einen höheren Bedarf an StaatsanwältInnen gebracht hat. Um diesen Umstand kommt in der Justiz niemand herum, auch wir nicht.

derStandard.at: Sie haben den Korruptions-Untersuchungsausschuss als Testlauf bezeichnet. Wie ist das Zwischenergebnis?

Geyer: Von meinem Standpunkt aus sehr positiv. Ich sehe es als Vorteil, dass die Öffentlichkeit auf diese Weise erfährt, was wir sonst nur im nichtöffentlichen Ermittlungsakt haben. Wir schicken dem Ausschuss unsere Akten elektronisch und haben mit dem Parlament vereinbart, dass nur ganz wenige Aktenteile davon ausgenommen sind - diejenigen, die auch keiner Akteneinsicht durch die Parteien unterliegen, und diejenigen, die wir vom Ausland mit der Auflage bekommen haben, sie nur im Strafverfahren zu verwenden.

derStandard.at: Die TäterInnen, mit denen Sie üblicherweise zu tun haben, sind überdurchschnittlich gut über ihre Rechte informiert und nützen sie auch aus. Aus Ihrer Sicht zu ausgiebig?

Geyer: Es stimmt, dass die Personen, mit denen wir es zu tun haben, die Möglichkeiten der Strafprozessordnung in einer viel intensiveren Weise ausnützen, als das bei normalen Kriminaldelikten der Fall ist. Man muss sich überlegen, wie man das Verfahren trotzdem in angemessener Zeit führen kann. Da gibt es Punkte in der Strafprozessordnung, die nachjustiert werden könnten.

derStandard.at: Zum Beispiel?

Geyer: Bei Kontoöffnungen ist es zum Teil möglich, dass drei Rechtsmittel von unterschiedlichen Stellen eingebracht werden. Auch die Rechtshilfe aus dem Ausland ist oft verfahrensverzögernd. In Summe sind die Möglichkeiten der Vertuschung sehr groß - und die Möglichkeiten der Aufklärung halten dem nicht stand.

derStandard.at: Was müsste sich gesetzlich ändern?

Geyer: Alle Rechtsmöglichkeiten, die das Vertuschen erleichtern, erschweren die Aufklärung. Ein Beispiel sind die Offshore-Firmen. Es gibt ja keinen Wirtschaftsskandal, in dem Offshore-Firmen nicht eine gewaltige Rolle spielen. Solange das zulässig ist, wird es schwer sein, Geldflüsse nachzuvollziehen. In Österreich können Bargeldbeträge unbeschadet der Höhe transportiert werden - in Italien oder Dänemark ist das zum Beispiel nicht möglich oder nur bis zu einem bestimmten Höchstbetrag erlaubt. Da geht es um viele Details, die aber in Summe die Aufklärungsarbeit massiv erschweren. Da könnte man gesetzlich etwas ändern, um solche Delikte im Vorfeld schon zu erschweren.

derStandard.at: Offshore-Firmen lassen sich national aber nicht regeln.

Geyer: Es gibt Punkte, die man sicher national kaum ändern kann. Aber auch das kann man sich genauer anschauen: Unter welchen steuerlichen Bedingungen kann Geld an eine Offshore-Firma überwiesen werden? Ein Punkt wäre auch die Frage, inwieweit es zulässig ist, durch Treuhandschaften Beweismittel zu immunisieren. Wenn ein Treuhänder gleichzeitig Rechtsanwalt ist, und das kommt relativ häufig vor: Kann er dann alle möglichen Unterlagen bei sich bunkern, ohne dass die Justiz darauf zugreifen darf? Da wäre eine klare Trennung von Berufsgeheimnis und verdeckter Treuhänderschaft erforderlich: Wer eine Treuhänderschaft übernimmt, sollte sich in diesem Rahmen nicht auf sein Berufsgeheimnis berufen können. Und er soll Aufzeichnungen entsprechend den Geldwäschevorschriften führen - welche Aufträge er bekommen hat, was der wirtschaftliche Hintergrund ist, was er mit dem Geld macht und so weiter.

derStandard.at: Wie beurteilen Sie die geplanten Änderungen im Korruptionsstrafrecht?

Geyer: Ich kenne sie nur aus den Medien und beurteile sie grundsätzlich positiv. Ein Punkt geht mir aber ab - und zwar die Unzulässigkeit von erfolgsabhängigen Beraterhonoraren bei öffentlichen Aufträgen, die nach dem Vergabegesetz durchgeführt werden. Da sind Erfolgshonorare oft ein Einfallstor für Bestechungen. Vergabeverfahren sollen nach objektiven Kriterien durchgeführt werden, der Bestbieter soll den Zuschlag erhalten. Für Berater, die sich prozentuell am Auftragsvolumen beteiligen, ist kein Platz. Worin kann eine legale Leistung bestehen, die derartig hohe Honorare rechtfertigt?

derStandard.at: Wenn es zu einer neuerlichen Reform der Strafprozessordnung kommt - was wären in Ihrem Bereich Änderungswünsche?

Geyer: Bei normalen Kriminalfällen funktioniert die StPO gut. In Wirtschafts- und Korruptionsverfahren ist aber die Frage berechtigt, wie solche Verfahren trotz Einhaltung aller rechtsstaatlichen Standards effizient durchgeführt werden können. So schnell wie einen Einbruchsdiebstahl wird man Wirtschaftsverfahren nie klären können - aber wenn es um 20 Prozent schneller ginge, wäre es schon gut. Die Justiz könnte sich fachkundigen Rat von Universitäten holen, um die Gründe für die Dauer von Wirtschaftsverfahren auch extern zu evaluieren. Was die Personalressourcen in Justiz und Polizei betrifft, ist uns das Ausland teilweise deutlich voraus. Da müsste man nachrüsten.

derStandard.at: Müsste sich auch in der gesetzlichen Gestaltung Ihrer Ermittlungsarbeit etwas ändern?

Geyer: In anderen Staaten gibt es zum Teil Regelungstechniken, die uns nicht zur Verfügung stehen. In den USA beispielsweise verpflichtet die Börsenaufsicht Unternehmen, die in Verdacht von Schmiergeldzahlungen geraten, dass sie unabhängig vom Strafverfahren externe Untersuchungen durch Rechtsanwaltskanzleien oder Wirtschaftsprüfer veranlassen. Solche Untersuchungen gehen auf Kosten des Unternehmens. Die Prüfberichte können Grundlage für Schadenersatzzahlungen oder Abschöpfungszahlungen sein, oft in beträchtlicher Höhe. Die Vorstellung, dass ausschließlich das Strafrecht alles abdecken muss, ist zu kurz gegriffen. (Maria Sterkl, derStandard.at, 9.5.2012)