Durstiger Beobachter beim Liebesspiel: Vampir Johnny Depp kommt in Tim Burtons "Dark Shadows" mit zweihundertjähriger Verspätung in der Gegenwart der 1970er-Jahre an.

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Wien - Am nächtlichen Lagerfeuer finden Hippies und Vampir zueinander. Man schreibt das Jahr 1972 und ist sich einig, dass der Krieg in Vietnam deshalb der letzte sein muss, weil er an Grausamkeit nicht mehr überboten werden kann. Fast wähnt man die Aussteiger und den Außenseiter als Seelenverwandte, doch während die Hippies sich in eine bessere Zukunft kiffen, erweist sich der Vampir als radikaler Realist, für den nur die Gegenwart zählt.

Dieses Kräfteverhältnis zwischen dem Fantastischen und dem Realen war schon immer ein zentrales Motiv in den Filmen von Tim Burton - von der frühen Horrorkomödie "Frankenweenie", die uns die Folgen einer Reanimation eines toten Hundes vorführte, bis zur gescholtenen Lewis-Carroll-Adaption "Alice in Wonderland", bei der von der Wirklichkeit nur die gehobene Gesellschaft Englands an der Erdoberfläche übrig blieb. Dass Burton mit "Dark Shadows" nun über viele Umwege beim Mythos des Vampirs angelangt ist, war also nur eine Frage der Zeit.

Wobei die Zeit, dem Vampirmotiv entsprechend, selbst Thema ist: In einer vorzüglichen Ouvertüre sieht man, wie im Jahr 1752 ein englischer Junge mit seinen Eltern in Amerika ein neues Leben beginnt. Handstreichartig inszeniert Burton die verhängnisvolle Urszene, in welcher der mittlerweile zum Mann herangereifte Stammhalter Barnabas die Liebe einer schönen Frau namens Angelique nicht erwidern kann - und von der bösen Hexe prompt mit einem Fluch belegt wird: Als Vampir muss er fast zweihundert Jahre auf seine Ausgrabung warten.

War das Erscheinungsbild Johnny Depps bereits als rotschöpfiger Hutmacher in "Alice" bizarr, so bietet die Figur des Blutsaugers nun Gelegenheit, dies noch zu übertreffen. Überraschend erweisen sich die in die Stirn geklebten Strähnen, die schwarzen Augenränder und der rote Kussmund für "Dark Shadows" jedoch als erstes Handicap. Denn in Kombination mit Depps harmlosem Spiel wird dem Vampir alles notwendig Libidinöse entzogen, funktioniert er weder als Melancholiker noch als Monstrum. Einen asexuelleren Blutsauger als diesen hat man im Kino nicht gesehen. Beim Gedanken an Gary Oldman in Coppolas "Dracula" müsste Depp unter der weißen Schminke erblassen.

So bleibt der Kampf, den Barnabas auch in der Gegenwart gegen die Hexe (Eva Green) zu führen hat, auf äußerliche Schlagabtausche reduziert. Während seine Nachkommen mit ihrem neuen, alten Familienmitglied wieder Wohlstand erlangen, setzt das verführerische Böse als moderne Geschäftsfrau die Fehde fort.

Schwächelndes Drehbuch

Als große Schwäche erweist sich vor allem das von Seth Graham-Smith verfasste Drehbuch, dem die TV-Serie aus den frühen 1990er-Jahren zugrunde liegt. "Dark Shadows" kommt über eine schablonenhafte Zeichnung der teilweise an die Addams Family erinnernden Familienmitglieder - von Michelle Pfeiffer als resolutes Oberhaupt bis zu Jackie Earle Haley als Hausmeister -, nicht hinaus. Das Aufeinanderprallen der Generationen generiert wenig Komik, mit Barnabas' altmodischem Blick die moderne Welt zu entdecken ist nur ein kurzfristiges Vergnügen.

Bereits seit geraumer Zeit hat Burton sich sein eigenes, hermetisch abgeriegeltes Universum errichtet, das sich selbst und seinem Publikum genügt. Ein solcher Mikrokosmos mag sich als Szenerie für ein Herrschaftshaus samt pittoreskem Küstenstädtchen anbieten, verhindert aber jene sozialkritische Durchlässigkeit, die Arbeiten wie "Beetlejuice" oder "Mars Attacks!" auszeichnete und die auch dem Subgenre des Vampirfilms inhärent ist. Aber wie meinte der Romantiker Novalis: "Hätten wir auch eine Fantastik, wie eine Logik, so wäre die Erfindungskunst erfunden." (Michael Pekler, DER STANDARD, 8.5.2012)