Wien/Istanbul - Groß ist die Freude, als Ozan das erste Mal sein Zimmer im Wiener Studentenheim betritt. Es macht den jungen Türken stolz, fernab der Heimat ein Studium zu beginnen. Sorgsam verstaut er Kleidungsstücke aus zwei Koffern. Abrupt wird die Türe geöffnet. "Was suchst du in meinem Zimmer?", fragt ihn ein junger Mann. Nach kurzem Gespräch erfährt Ozan, dass ihm ein bereits vermietetes Zimmer vermittelt wurde. In einer unbekannten Stadt und mit geringen Deutschkenntnissen findet er sich auf der Straße wieder.

Andere türkische Studenten erzählen ähnliche Geschichten wie Ozan. Alle haben sie eins gemein: Sie wandten sich an Beratungsagenturen in der Türkei, welche versprachen, den Studienbeginn in Europa zu erleichtern. Ein europäischer Hochschulabschluss gilt in der Türkei als prestigeträchtig, zusätzlich wird von den Agenturen der freie Hochschulzugang in Österreich angepriesen. Nach der anfänglichen Euphorie über die versprochenen Leistungen setzt in Österreich oft Ernüchterung ein.

Vertrag mit Fußnote

Anfangs würden die Agenturen erklären, welche Schritte notwendig seien, um in Österreich ein Studium aufzunehmen. "Das Ganze wurde so dargestellt, als ob man es nicht selbst schaffen würde", kritisiert Ozan. Bürokratische Schritte, die eigentlich gebührenfrei sind, würden als kostenpflichtig angegeben werden. Befürchtungen, fehlende Deutschkenntnisse könnten ein Hindernis darstellen, wären von der Agentur beiseitegewischt worden.

So wurden Serviceleistungen vereinbart: Miete, Kursgebühr, Zulassung und Übersetzungen sollten gegen Bezahlung erbracht werden. Zusätzliche Kosten entstanden durch Behördengänge. Das Entgelt für Ozan betrug über 3000 Euro. Das "Beratungspaket" sollte auch Stadtführungen und Tickets für die Wiener Linien enthalten. Allerdings enthielt der Vertrag eine Fußnote: "Serviceleistungen können variieren."

In Wien angekommen, zeigte sich die Realität: Von Stadtführungen und Öffi-Tickets fehlte jede Spur. Das wäre verschmerzbar - abgesehen von der fehlenden Unterkunft wurde Ozan jedoch für keinen universitären Deutschkurs angemeldet und somit auch nicht für die Uni. Dadurch wurde die Verlängerung des Visums unmöglich. Bürokratische Hürden folgten. Weitere zwei Jahre vergingen, bis er schließlich das Studium der Publizistik aufnehmen konnte. Beschwerden konnte er bislang nicht einreichen, in Wien gibt es kein Büro der Agentur, aus Istanbul keine Rückmeldung.

Eines dieser Beratungsunternehmen ist AED, es hat seinen Sitz in Istanbul und Wien. Von ähnlichen Fällen habe man bei AED schon gehört. Eine Mitarbeiterin, die nicht mit Namen genannt werden will, macht die Studenten für ihre Lage selbst verantwortlich: Sie habe den Eindruck, dass aufgrund des "jungen Alters Studenten nachlässiger sind" und dadurch Probleme entstehen würden. Auch seien die Erwartungen der Studierenden zu hoch.

Es könne "natürlich auch vorkommen, dass die Firmen Fehler machen", sagt sie. In solchen Fällen würden der unterzeichnete Vertrag und dessen Inhalt die Grundlage bilden, um das Problem zu lösen. In der Theorie klingt der Vorschlag plausibel, in der Realität zeigen sich Lücken. Ozan etwa wurde von seiner Vermittlungsagentur nie eine Kopie des Vertrags gewährt.

Falls es zu keiner Lösung kommt, sieht das Gesetz derzeit keine rechtliche Möglichkeit für geschädigte Studenten vor.

Bilaterale Lösung erforderlich

Die türkische Botschaft weist die Verantwortung von sich. "Wir können uns nicht einmischen, wenn ein Vertrag zwischen zwei Personen geschlossen wird", heißt es aus der Bildungsabteilung. Über Lösungsansätze habe man schon nachgedacht, doch müsse das Problem auch mit dem österreichischen Staat geklärt werden. Aus dem Wissenschaftsministerium wird erklärt, gerüchteweise von der Problematik gehört zu haben, allerdings sei niemand an sie herangetreten.

Diese aussichtslose Lage hat den Studenten Timur Aksak dazu bewogen, selbst einen Verein zu gründen. Der Türkische Studentenverein bietet Hilfe und unterstützt mit Beratung und Begleitung bei Behördengängen. Getragen wird er von Studierenden, die selbst durch Agenturen geschädigt worden sind, daher will er auch die Öffentlichkeit für diese Problematik sensibilisieren. (Nermin Ismail, Kristina Nedeljkovic, Fabian Schmid, UNISTANDARD, 3.5.2012)