Wien/Boston - Der Kampf gegen Übergewicht und Adipositas ist nach wie vor eine der größten medizinischen und gesundheitspolitischen Herausforderungen in den Industrie- und Schwellenländern. Bisher gibt es kaum medikamentöse Therapien. Einen Mechanismus, über den man offenbar wirksam eingreifen könnte, hat jetzt ein Wissenschafterteam mit Florian Kiefer, ursprünglich aus Wien stammend, jetzt tätig an der Harvard Medical School in Boston (USA), entdeckt: Ein Enzym des Vitamin A-Stoffwechsels steuert offenbar den Energiehaushalt im weißen Körperfett.

"'Böses' weißes Fett speichert Energie. 'Gutes' braunes Fettgewebe hingegen verbrennt Energie durch Wärmeproduktion. Doch der erwachsene Mensch hat kaum mehr braunes Fett. Es wird von Babys zur Aufrechterhaltung der Körpertemperatur benötigt. Übergewichtige und Adipöse haben vor allem weißes Fett", erklärte der Wissenschafter von der Abteilung für Herz-Kreislauf-Erkrankungen am Brigham and Women's Hospital in Boston.

Weißes Fett wird braun

Der Clou an der aktuellen wissenschaftlichen Arbeit, so Kiefer, der ehemals an der Klinischen Abteilung für Endokrinologie und Stoffwechsel der MedUni Wien arbeitete: "Wir haben einen Weg gefunden, weißes Fett zu 'bräunen'. Das heißt, dass es die Charakteristika von braunem Fett mit Energieverbrennung annimmt." Die Studie wurde von der Fachzeitschrift "Nature Medicine" online veröffentlicht.

Im Speziellen konnten die Wissenschafter das Enzym Retinylaldehyd-Dehydrogenase 1 als einen entscheidenden Faktor für Adipositas identifizieren. Von dem Enzym gibt es drei Isoformen, die den Vitamin A-Stoffwechsel im Organismus regulieren. Der Experte: "Retinaldehyd-Dehydrogenase 1 wird vor allem in viszeralem Fett (Bauchfett, Anm.) gebildet und ist bei Adipösen deutlich erhöht. Schaltet man bei Mäusen das Gen für diese Isoform aus, kann man sie mit hochkalorischem Futter ernähren, sie werden nicht dick." Ohne das Enzym häuft sich in den Zellen die Vitamin A-Vorstufe Retinylaldehyd an. Das wiederum aktiviert das Protein Ucp1 (uncoupling protein-1), worauf der Stoffwechsel der Fettzellen von Energiespeicherung auf Energieverbrennung umstellt, folglich im Organismus Energie in Form von Wärmeproduktion verbraucht wird.

Erfolgreicher Test für therapeutischen Ansatz

Kiefer: "Wir konnten mittlerweile zeigen, dass das auch bei menschlichen Fettzellen funktioniert." Mehr noch, an adipösen Mäusen ließ sich sogar schon ein möglicher therapeutischer Ansatz erfolgreich erproben. Der Wissenschafter: "Wenn man den adipösen Mäusen ein sogenanntes Antisense Oligonukleotid gegen Retinylaldehyd-Dehydrogenase 1a1 injiziert, welches die Produktion des Enzyms ausschließlich im Fett blockiert, kann man eine weitere Gewichtszunahme stoppen."

Was die Sache zusätzlich zukunftsträchtig erscheinen lässt: Mäuse ohne das Enzym sind sonst "pumperlgesund". Kiefer: "Das liegt daran, dass es drei Formen des Enzyms gibt. Wir hemmen nur eine davon. Ohne Vitamin A würden die Mäuse noch im Uterus sterben, aber die beiden anderen Formen des Enzyms können das offenbar kompensieren. Übrigens, wir Menschen könnten ohne Vitamin A nicht leben." Aber die fettselektive Blockade einer der Enzym-Formen würde offenbar nur auf den Energiestoffwechsel eine Auswirkung haben. (APA/red, derstandard.at, 12.5.2012)