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Lern- und Prüfungsstress: 3.409 Betroffene haben im Jahr 2011 die psychologische Studentenberatung aufgesucht.

Foto: APA/Schneider

Max ist 20 Jahre alt und studiert seit zwei Semestern. Er fühlt sich, als ob jede Klausur über seine Zukunft entscheidet. Sobald die Prüfungsbögen verteilt sind, wird ihm schwarz vor Augen; das Gelernte scheint wie weggeblasen. Ihm bleibt nichts anderes übrig, als zitternd ein paar Stichworte als Antwort hinzukritzeln - obwohl er mehrere Wochen intensiv gelernt hat.

Max ist kein Einzelfall, er ist einer von 3.409 Betroffenen: So viele Studenten haben im Jahr 2011 aufgrund von Lern-, Prüfungs- oder psychischen Probleme eine Stelle der psychologische Studentenberatung aufgesucht. In der Fachwelt ist man sich sicher, dass die Dunkelziffer weit höher ist: Tatsächlich geht man davon aus, dass nahezu jeder fünfte Student "psychisch schwer belastet" sei.

"Das Studium fällt meist in einen Lebensabschnitt, in dem gerade die Persönlichkeit konsolidiert wird", sagt Franz Oberlehner, Leiter der Studentenberatungsstelle Wien, "dadurch sind Studenten vulnerabler." Dies liefert aber keine Erklärung, warum Studenten in Statistiken über psychische Belastungen weit über dem Durchschnitt ihrer Altersgruppe liegen: Welche Rolle spielt das Studium an sich?

Bologna und STEOP erhöhen den Druck

"Von der Schule zur Universität ist es ein großer Schritt", so Oberlehner, "man muss sich selbst organisieren, die Lernanforderungen sind weitaus größer." Dem gegenüber steht, dass man bestimmte Kurse erst dann besuchen kann, wenn davor entsprechende Prüfungen positiv absolviert wurden. Diese Voraussetzungsketten helfen zwar bei der Organisation des Studiums, machen Prüfungen aber zu einer Zitterpaprtie: Wer durchfällt, muss ein Semester länger studieren.

"Natürlich ist durch Bologna und die Studieneingangsphase (STEOP) der Druck massiv angestiegen", meint Franz Oberlehner. Immer mehr Studenten kämen zur psychologischen Studentenberatung: "In den letzten sieben bis acht Jahren haben sich unsere Kontakte um ein Drittel erhöht." Einigen Studenten ist schon mit ein, zwei Beratungen geholfen, vor allem, wenn sie "nur" an Prüfungsangst leiden oder ungern Referate halten. Andere, die mit klinisch-psychologischen Problemen zur Beratungsstelle kommen, erlangen nur durch eine langfristige Therapie Besserung. Letztes Jahr hatten immerhin 2.326 der insgesamt 3.409 Klienten, die sich an die psychologische Studenberatung gewandt haben, schwere psychische Probleme. Oberlehner schätzt, dass 70 bis 80 Prozent dieser Klienten an einen Psychotherapeuten weitervermittelt wurden.

Depression als Krankheit Nummer eins

Unter den psychischen Erkrankungen rangiert auch bei den Studenten die Depression unangefochten auf Platz eins: 20 Prozent der Studierenden gaben in der Sozialerhebung 2009 an, "etwas" oder "sehr" unter depressiven Stimmungen zu leiden. Ebenso viele leiden unter mangelndem Selbstwertgefühl (20 Prozent) oder Existenzängsten (16 Prozent).

Das moderne Studium birgt dabei mehrere Merkmale, die ausschlaggebend für psychische Belastungen sein können. So klagen viele Studenten über soziale Isolation, die nicht zuletzt durch Massenstudien verursacht wird. Im Vergleich zu klassenähnlichen Verbunden auf den Fachhochschulen oder kleineren Universitäten kann es es nämlich bei Studien mit großem Andrang durchaus vorkommen, dass man Kommilitonen nur selten wiedersieht und in jedem Seminar auf 30 neue Mitstudenten trifft.

Ein weiterer Aspekt ist die durch Bologna ausgelöste Abnahme der "intrinsischen" Motivation. Damit bezeichnen Psychologen Beweggründe, die einen Dinge freiwillig tun lassen, etwa "Neugier" oder "Interesse". Stehen jedoch Zwang und Pflicht im Vordergrund - wie in Bologna-Voraussetzungsketten oder bei nur geringer freier Auswahl der Vorlesungsinhalte -, kommt die "extrinsische" Motivation zu tragen, die wiederum zur Bildung einer Depression beitragen kann.

The Angst and the Money

Bezüglich eines kausalen Zusammenhangs von finanziellen Mitteln und psychischen Problemen hat die Forschung eindeutige Befunde vorgelegt. Auch die Studierenden-Sozialerhebung zeigt, dass Geld und psychische Gesundheit korrelieren. Die Streichung der Familienbeihilfe ab 24 Jahren dürfte den psychischen Leidensdruck für einige also enorm erhöhen. Denn wer sich per Nebenjob etwas dazuverdienen möchte, hat dadurch weniger Zeit und mehr Stress. Franz Oberlehner rät daher zur Balance: "Es ist sicher nicht schlecht, wenn man pro Woche bis zu zehn Stunden arbeiten geht. Man sollte immer versuchen, einen guten Mittelweg zu finden."

Das Klischee des "faulen" Studenten ist für den Leiter der psychologischen Beratungsstelle schon lange überholt. "Menschen, die selbst nicht studiert haben, können oft nicht nachvollziehen, wie viel Arbeit hinter einem Studium steckt", so Oberlehner, "es ist nämlich nicht vergleichbar mit anderen Tätigkeiten." (Fabian Schmid, derStandard.at, 7.5.2012)